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16. Mai – Es geht los!
Jedes Mal, als wir uns im vergangenen Jahr trafen, war sie mit dabei. Sie hat uns angetrieben, uns inspiriert und uns Mut für verrückte Ideen gegeben. Sie brachte uns zum Lachen, aber auch zum Nachdenken. Hier am Bahnhof in Basel nehmen wir nun Abschied von ihr und sagen:
Tschüss, liebe Vorfreude - und hallo verrücktes Schwedenreisli 2025!
Schön, dass ihr das Schwedenreisli - Die Zweite hier auf unserer Website mitverfolgt, mit uns mitfiebert, euch mit uns freut, mit uns bangt, hofft oder ihr über uns lacht. Letzteres tun wir nämlich auch und werden unser Bestes geben, euch spannende, witzige, ernste und eben auch (selbst-) ironische Geschichten und Anekdoten unserer Reise zu erzählen. Euch allen ein herzliches “Välkommen”!
Wir haben uns darauf eingestellt, von Eskapaden und Odysseen zu berichten, von Zugausfällen und Schienenersatzverkehr in Deutschland. Es klappt jedoch alles reibungslos. Somit starten wir ruhig und mit einem Kaffee aus dem Bordbistro unsere Reise. Nach arbeitsreichen Wochen spüren wir die erste Entspannung. Die Stimmung ist gelöst, wir tauschen uns kurz mit den Sitznachbarn aus, neben uns spielt ein älteres Ehepaar gemütlich Karten.
Nachdem wir uns zwei Podcasts zu Gemüte geführt haben (zu einschlägigen Themen wie Speisewagen und Diesellokomotiven), sind wir erstaunt, dass wir bereits die Süderelbe überquert haben. Wir sind in Hamburg und haben eine Stunde Zeit, Mittagessen zu gehen.
Gezielt geht es in die Lange Reihe ins Restaurant Yume, wo es gemäss Johnny die besten Ramen dieser Stadt gibt. Und er hat Recht. Das Essen ist sehr fein und die familiäre Stimmung macht das Ganze zu einem echten Geheimtipp. Kellner Yang wünscht uns eine gute Reise und fragt, wie lange wir in Hamburg sind. Als wir unsere Reisepläne erläutern, lacht er laut und wünscht uns alles Gute. Mittlerweile ist klassisches Hamburger Schietwetter aufgezogen, wir schultern unser Gepäck und laufen die wenigen Schritte zurück an den Hauptbahnhof.
Im Eurocity geht es weiter nach Kopenhagen. Die Landschaft wird nordisch, auf den endlos grünen Wiesen weiden Kühe und am Horizont tauchen Windkraftwerke auf. Wir überqueren den Grossen Belt und erreichen pünktlich Kopenhagen. Nach einem kurzen Nachtessen überqueren wir die Öresundbrücke und erreichen Malmö, wo für uns die letzte Etappe dieses ersten Tages beginnt: Der Nachtzug von Malmö nach Stockholm.
Müde steigen wir in die Betten unseres Dreierabteils und erfahren von der Zugbegleiterin, dass in Lund (ca. 10 Minuten später), noch ein Fahrgast in unser Abteil kommen wird. So dürfen wir bald darauf unseren Begleiter für die Nachtreise nach Stockholm begrüssen. Wir kommen ins Gespräch und erfahren, dass der junge Doktorand ebenfalls aus dem kontinentalen Europa stammt.
Er fragt uns, ob wir zum ersten Mal mit dem Nachtzug fahren. Wir entgegnen stolz und freudig: «Nein», er antwortet: «Naja, ok. Das macht man halt, wenn es keine andere Lösung gibt.» Wir schauen uns kurz entsetzt an, fühlen uns das erste Mal in diesem Gespräch leicht beleidigt. Als einige Sätze später dann die Eisenbahn in Schweden ganz grundsätzlich ins Kreuzfeuer gerät, verstärkt sich dieses Gefühl. Unsere Lust auf weitere Diskussionen schwindet in Sekundenschnelle und wir schlagen vor, doch langsam schlafen zu gehen. Die Tatsache, dass wir drei Wochen lang in unseren Ferien die Eisenbahn in Skandinavien zelebrieren, ersparen wir ihm. Und die potenziell darauffolgende Diskussion, uns allen auch.
Bevor wir schlussendlich in den Schlaf fallen, verarbeiten wir den Vorfall via Chat zu zweit und versichern uns gegenseitig, dass es nicht nett ist, so über Züge in Skandinavien zu sprechen.
17. Mai - Harri Hylje und die Finnlandfähre
Wir erwachen im Nachtzug kurz vor Stockholm. Es ist ca. 05.30 Uhr und der Nachtzug erreicht Stockholm C pünktlich. Netterweise dürfen Fahrgäste nun bis um 07.00 Uhr liegen bleiben und müssen nicht gleich aussteigen. Wir nehmen dieses Angebot nicht in Anspruch, da es für uns gleich weitergeht.
Das erste Highlight des Tages wartet auf uns. Wir sind bei Freunden auf dem Södermalm zum Frühstück eingeladen. Nach einer kurzen Nacht im Zug bei Freunden zuhause einen gedeckten Tisch vorzufinden, ist wohl der beste Start in den Tag, den man sich wünschen kann.
Nach einem Abstecher in die Innenstadt geht es am frühen Nachmittag bereits in Richtung der Fähre. Fussläufig gut zu erreichen von der Metrostation Gärdet steuern wir auf die «Silja Serenade» zu. Wir stellen schnell fest, dass es sich in Tat und Wahrheit um ein schwimmendes Shoppingcenter handelt, welches den Tarnname «Fähre» trägt. Dieses Shoppingcenter wird uns also nach Helsinki bringen.
Wir begrüssen «Harri Hylje», das Maskottchen der Reederei Silja Line, und stürzen uns in den Trubel.
Eine erste Erkundungstour auf dem Schiff lässt uns bereits die Highlights dieses Vergnügungstempels erahnen: Während in der Kinderdisco Mumin mit seiner Begleiterin Kleine My tanzt, erkunden wir das Irish-Pub, Stakehouse und ein «Duty-Free Superstore», das Shoppingcenter im Shoppingcenter sozusagen. Das grösste Highlight ist aber zweifellos das Grande-Buffet, ein all-you-can-eat Restaurant mit über 200 Plätzen.
Bevor wir diese kulinarische Perle entdecken, steuern wir das Pub an und bestellen ein wohlverdientes Feierabendbier. Der gut gelaunte Barkeeper fragt uns mehrmals, ob wir nicht einen Schuss Jägermeister ins Bier möchten. Wir verneinen, während er verzweifelt ein drittes Mal versucht, uns die Vorzüge der gewöhnungsbedürftigen Kombination erneut zu schmackhaft zu machen. Hart und beständig bestehen wir auf die Variante ohne Schuss.
Wir besuchen noch kurz die Karaoke-Bar und treffen dort die potenziellen Stars von morgen. So unsere Erwartung. Die Qualität der Beiträge ist aber leider durchzogen. Mutmasslich konnten die Künstler*innen den Barkeeper nicht wie wir überstimmen und ein Fläschchen Jägermeister ist in ihr Bierglas gesunken. Um unser Gehör nicht nachhaltig zu schädigen, machen wir uns nach einigen Minuten auf den Weg zum «Grande Buffet». Wir realisieren schnell, dass der Grund für die Beliebtheit des Angebots nicht nur in der Auswahl der Speisen liegt, sondern wohl auch daran, dass alkoholische Getränke im Preis ebenfalls à-discrétion enthalten sind.
Die Qualität des Essens ist jedoch überraschend gut und vielseitig. Besonders muss an dieser Stelle die Soft-Ice Maschine erwähnt werden, die Johnnys Laune sehr zuträglich ist.
Um 21 Uhr brechen wir wohlgenährt in den obersten Stock des Schiffs auf, zum Public Viewing des Eurovision Song Contest. Die Szenerie und Stimmung sind einzigartig. Während der Kahn durch den Schärengarten um zahlreiche Inselchen zirkelt, erleben wir einen wunderschönen Sonnenuntergang und geniessen den ESC aus der Heimat. Immer wieder schweift unser Blick über die unglaubliche Kulisse, die diesen speziellen Abend umgibt. Bei den Auftritten der schwedischen und finnischen Delegationen kocht der Saal. Den Auftritt von Zoë Më an diesem Ort zu sehen, macht den Abend perfekt. Zwar hat Schweden den ESC nicht gewonnen, trotzdem bleibt der Abend wohl noch lange in Erinnerung.
Die Inseln werden zunehmend rauer und das offene Meer wird sichtbar. Gegen Osten ziehend verlassen wir Schweden und die rote Sonne taucht hinter den letzten Schären ins Meer. Morgen erwachen wir in Finnland.
P.S.: Wie dem Text zu entnehmen ist, wird an Bord des Schiffs hie und da ein Getränk mit Alkohol konsumiert. Selten sieht man Personen ohne ein Glas in der Hand und die eher slalomartigen Laufwege sind nicht immer dem Wellengang geschuldet. Da wir Sparfüchse sind (Getränke kosten hier auf dem Schiff überraschend viel), gehen wir kurz runter in die Kabine und leeren unsere Minibar. Entsetzt stellen wir fest, dass der Zeitpunkt äusserst ungünstig gewählt war - gleich tritt Finnland auf und wir möchten bei diesem Event unbedingt oben in der Menge sein. Mit den Dosen in der Hand stürzen wir aus der Kabine und rennen zahlreiche Treppen hinauf bis in die Bar. Als wir uns in die Menge stürzen möchten, pfeift uns harsch ein uniformierter Mitarbeiter des Sicherheitsdiensts zurück und informiert uns mit böser Mine, dass er genau gesehen hat, wie wir Getränke nach oben geschmuggelt haben und auf seine Rufe nicht reagiert hätten. Die Party sei nun für uns vorbei und es gelte ab sofort Hausverbot hier oben. Mit einigen entschuldigenden und erklärenden Worten zur Situation gelang uns dann das Unmögliche: Unsere Erklärung, den Auftritt Finnlands nicht verpassen zu wollen, war wohl so herzerwärmend, dass wir ihn umstimmen konnten.
18. Mai – Kalter Wind und warme Klänge
Wir erwachen mitten auf dem Meer, irgendwo in der Ostsee kurz vor Helsinki. Die Nacht war kurz, aber erholsam. Mit dem Lift geht es runter in eines der Restaurants, wo wir unser Special Breakfast gebucht haben. Während wir erneut ein grosses Buffet mit allen erdenklichen Speisen geniessen dürfen, ziehen vor dem Fenster immer mehr Schären auf. Kurz darauf erreichen wir Helsinki. Wir verabschieden uns herzlich von Harry Hylje, während Mumin und My mit Abwesenheit glänzen. Durch die Gangway schreiten wir in Richtung des Terminals und betreten anschliessend finnischen Boden.
Die Stadt empfängt uns mit einer kalten Brise. Mit einem der vielen grünen Trams, die gekonnt um zahlreiche 90-Grad kurven flitzen, fahren wir in den Stadtteil Jätkäsaari / Busholmen. Hier ist alles zweisprachig angeschrieben, denn in Finnland lebt eine schwedische Minderheit, die sogenannten Finnlandschwed*innen. Sie sind zwar ethnisch Teil der finnischen Bevölkerung, unterscheiden sich jedoch in Muttersprache, Kultur und gewissen Traditionen. Es gibt sogar finnische und schwedische Schulen, in denen die andere Sprache jeweils zum Pflichtunterricht gehört. Vielleicht erfahren wir in den kommenden Tagen noch etwas mehr über das kulturelle Miteinander hier in Finnland. Festzuhalten ist, dass uns das Schwedisch sehr entgegenkommt, denn damit erhalten wir eine reelle Chance, unsere Zielhaltestelle mit dem Namen Välimerenkatu (schwed. Medelhavsgatan) nicht zu verpassen.
Wir beziehen das Zimmer und gehen gleich wieder auf die Gasse. Mit der U-Bahn fahren wir aus der Stadt hinaus, um einen Überblick zu gewinnen. Zurück im Zentrum steigen wir an einer U-Bahnstation aus, welche direkt in eine riesige Shoppingmall mündet. Wir staunen über die Grösse des Komplexes. Draussen auf der Strasse fällt uns dann auf, dass dies bei weitem nicht die einzige Mall ist. Gefühlt befindet sich hier an jeder zweiten Ecke ein Eingang zu einem Shoppingtempel oder einer Arkade und wir fragen uns, ob diese riesigen Einrichtungen auch wirklich alle rentieren, denn eine ist imposanter und grösser als die andere. Wahrscheinlich liegt dies an den kalten Temperaturen, denken wir, welche hier hier lange andauern und es die Menschen daher eher nach drinnen zieht. Sowieso wirkt Helsinki auf uns zu diesem Zeitpunkt eher kühl, so richtig greifbar ist die Stadt für uns noch nicht. In einem kleinen gemütlichen Kaffee wärmen wir uns auf und diskutieren die ersten Eindrücke dieser Stadt.
Wir entscheiden uns, das technische Museum von Helsinki zu besuchen. Dieses liegt etwas ausserhalb der Stadt und um es kurzzufassen, enttäuschte uns das Museum. Die Exponate wirken eher beliebig zusammengestellt, die Informationen dazu sind meist nur wenige Sätze und nach zirka einer Stunde haben wir auch bereits alles gesehen. Später finden wir heraus, dass das Museum gerade umgebaut wird und nur ein kleiner Teil der Ausstellung zugänglich ist. Wir haben für die reduzierte Ausstellung deshalb Verständnis. Das technische Highlight folgt dann doch noch: Auf einem Spazierweg kommt uns ein autonom fahrendes Fahrzeug auf sechs Räder entgegen. Der QR-Code auf dem niedlich wirkendem Gefährt verrät uns, dass es gerade Essen ausliefert. Um das herauszufinden, musste Johnny dem Ding allerdings schnell aber unauffällig folgen. Und wie ihr seht, es hat geklappt.
Mit dem Ausflug entdeckten wir einige weitere Orte dieser Stadt mit nur 660’000 Einwohner*innen. In Finnland leben insgesamt übrigens nur 5.6 Millionen Menschen auf ganze 338’462 Quadratkilometer.
Am Abend besteigen wir die Fähre mit der Nummer 19, welche uns rüber auf die nahe gelegene Insel Sveaborg / Suomenlinna fährt. Sie ist übrigens im ÖV-Ticket der Zonen A und B inkludiert. Mit uns an Deck sind einige uniformierte Kadetten der finnischen Marine, und wir beginnen uns zu fragen, wie sich die aktuelle politische Situation insbesondere auf junge Menschen auswirkt. Lange diskutieren können wir aber nicht, denn die Insel kommt bereits in Sichtweite. Wir klettern auf die Bunkerhügel von Västersvartö, einer Nebeninsel, mit ihren alten verrosteten Kanonen die heute glücklicherweise ins Nichts zielen.
Überall schnattern Wildgänse im Gras, vom Wasser ertönen die eigenartigen Rufe der Eiderenten und Möwen ziehen in der untergehenden Sonne über unseren Köpfen ihre Kreise. Es riecht nach Meer und ein unerwartet warmer Wind umströmt die Insel.
Unser Blick schweift rüber ins Stadtzentrum von Helsinki und es bietet sich uns eine Aussicht, die ihresgleichen sucht. Mit der untergehenden Sonne taut auch unser erster Eindruck dieser Stadt auf. Wie schön sie doch liegt, hinter den kargen Schären in der finnischen Bucht, so weit im Osten von Europa.
P. S.: Während wir diese Zeilen schreiben, sitzen wir in der Lobby unseres Hotels. Wir haben uns ein ruhiges Plätzchen gesucht, an dem wir die intensiven Erlebnisse des heutigen Tages verarbeiten können. Denn hier gibt es verschiedene gemütliche Ecken mit Zeichnungspapier, Büchern und einigen Instrumenten. Eine italienische Reisegruppe hat ausgerechnet Letzteres entdeckt. Exakt zum Zeitpunkt, als wir unsere Laptops aufklappen, beginnt das Konzert. Diejenigen, welche keine Instrumente gefunden haben, bilden den Chor. Die Qualität befindet sich allerdings auf dem Niveau der Karaokebar des schwimmenden Shoppingcenters von gestern und es reiht sich Gassenschlager an Gassenschlager. Wir sehen uns an und müssen herzhaft lachen. Während sich draussen mit der Dunkelheit wieder empfindliches Kühl über die Stadt gelegt hat, erwärmen drinnen wenigstens die Klänge von Gianna Nanninis «Bello e impossibile» und weitere Hits aus dem südlichen Europa die Stube.
19. Mai – Oodi und die Sauna
Nach einem ausgiebigen Hotelzmorge zieht es uns raus. Der Himmel ist wolkenlos und die Temperatur könnte man als warm bezeichnen. Zumindest, wenn man in der Sonne steht. Wir planen einen ruhigen Tag in Helsinki. Zuerst folgt eine Shoppingtour in einer der zahlreichen Malls. Helsinki präsentiert sich in schönstem Wetter und wir geniessen diese etwas raue, aber was wir besonders hervorheben möchten, äusserst saubere Stadt. Nirgends liegt Müll herum und alles wirkt im Schuss und ist gepflegt.
Zum Mittagessen sind wir mit einer Freundin verabredet. Wir spüren gleich die Vorteile, wenn man mit einer Local unterwegs ist. Zum Essen geht es ins Restaurant Miljöö, wo es heute Elch mit Preiselbeeren und Kartoffelstock gibt.
Ganz in der Nähe liegt die Bibliothek Oodi, die Zentralbibliothek von Helsinki, zu der es uns weiterzieht. Das Bauwerk wurde 2018 eröffnet und strahlt schon von aussen viel Sympathie aus. Geschwungene Holzfassaden und viel Glas laden ein, das Gebäude näher kennenzulernen.
Wir treten ein und staunen nicht schlecht. Wer sich eine Bibliothek vorstellt, in der sich Buch an Buch in endlosen Regalen reiht, der irrt hier im Oodi. Vielmehr ist es ein Haus über drei Stöcke, in dem Kreativität und das Zusammensein viel Platz bekommen. Im untersten Stock befindet sich ein Restaurant sowie Aufenthaltsbereiche und ein Schach-Spielraum. Der zweite Stock erstaunt noch mehr: Hier befinden sich Musikstudios, Kreativräume, Ateliers, Labors, Werkstätten, Sitzungs- und Musikübungszimmer. Sogar Gaming-Räume gibt es. Alles offen und zur freien Verfügung.
In den Gängen stehen Plotter, PCs und 3D-Drucker. Viele Menschen arbeiten, spielen, lernen und lesen im zentralen Aufenthaltsbereich. Und im dritten Stock befinden sich die Bücher, mit einem Café in der Mitte und einer Terrasse mit direktem Blick auf das Regierungsviertel. Wir sind verblüfft, wie viel Raum hier Bildung und Kultur bekommt und allen Menschen offen steht. Sehr finnisch.
Ebenfalls finnisch sind Saunas. Und in genau so eine Einrichtung zieht es uns gegen Abend. Wir suchen eine in unserer Nähe und fahren mit e-Trottis dahin. Dort, am Wasser gelegen, finden wir eine Sauna vor, die wohl authentischer nicht sein kann. Das Gebäude ist äusserst unscheinbar und nichts verrät von aussen, dass sich darin eine Sauna befindet.
Hier bezahlt man in bar und muss alles selber mitnehmen, weshalb wir nochmals zurück zum Hotel und zu einem Bankomaten düsen müssen. Gespannt auf den Einblick in die echte finnische Saunakultur beobachten wir zuerst das Geschehen im und um das Haus herum. Also: Zuerst duscht man und stellt sich dann in eine «soziale Warteschlange» vor der Sauna. Immer so viele wie rauskommen dürfen rein, so einfach die Regel. Und wer am längsten wartet, ist an der Reihe. Die Sauna selbst hat keine Fenster und ist nur spärlich beleuchtet. Aromen, Klangschalen oder andere vermeintlich entspannende Installationen sucht man hier vergebens. Drinnen ist es düster und man rutscht auf einer langen nassen Bank nach, bis es nicht mehr geht und man am Ende des kleinen Raumes angelangt ist. Dort steht ein Kessel mit Wasser und einer Schöpfkelle.
Die Person zuhinterst im Raum muss jeweils wortlos die verantwortungsvolle Aufgabe übernehmen, ca. alle zwei Minuten eine Schöpfkelle Wasser über den heissen Ofen zu kippen. Auch wir geraten bis dort nach hinten und sitzen plötzlich hilflos vor dem Kessel. Für einen kurzen Moment ist die Entspannung vorbei, der Schweiss bricht aus. Ob die Schweissperlen vom Ofen oder vom Stress kommen, bleibt unklar. Wir beginnen mit den Aufgüssen, etwas unsicher, ob wir die richtige Kadenz des Manövers erfasst haben. Nichts passiert und freundlich erklärt man uns, dass die Art und Weise, wie man einen solchen Aufguss macht, viel über die Persönlichkeit aussagt. Ein anderer Saunagänger erzählt, dass er von Saunas im Ausland gehört hat, in denen per Knopfdruck Aufgüsse ausgelöst werden können. «Ein riesen Blödsinn und eine Veräppelung der Saunakultur», meint er dazu. Im Anschluss kann man sich direkt im Meer vor dem Gebäude abkühlen, was auch wir tun. Nach zwei Saunagängen sitzen wir müde auf einer Parkbank und sind von diesem Erlebnis richtig fasziniert.
P. S.: Dass wir Züge mögen, ist kein Geheimnis. Viele wissen aber vielleicht nicht, dass François insbesondere auch von Zügen fasziniert ist, die verborgen unter Städten verkehren. Die Rede ist von U-Bahnen. Bereits, wenn ein «M» Zeichen in Sichtweite gerät, beginnen seine Augen zu leuchten. Auf der langen Rolltreppe folgt dann das Management Summary über die Vorteile von U-Bahnen: «Das ist quasi wie Beamen, kein System befördert so viele Menschen so schnell so weit in einer Stadt. Wenn man den Modalsplit solcher Städte betrachtet, dann…», schon sind wir unten an der Rolltreppe angekommen. Und dann geht es meist nur drei Minuten, bis ein Zug einfährt und das Gefährt der Begierde betreten werden kann.
Die Metro in Helsinki ist nicht besonders spektakulär, jedoch sehr sauber und hell. Was uns hier besonders auffällt, ist, dass die meisten U-Bahnstationen auch gleich als Schutzräume für die Bevölkerung dienen. Das ist auch in einigen anderen Städten der Fall, doch hier ist diese Zusatzfunktion besonders gut sichtbar: Ein Schutzraumzeichen verrät bereits auf der Strasse, wenn eine U-Bahnstation diese Funktion hat.
Unten in der Station angekommen, passiert man jeweils eine Stelle, an der riesige Panzertüren offen stehen, die im Ernstfall dann von unten oder von der Seite her geschlossen werden können. Imposante, vielleicht etwas gruselig wirkende Bauwerke, an denen täglich zahlreiche Menschen vorbeieilen, ohne ihre zweite wichtige Funktion zu kennen.
20. Mai – Rautatiemuseo und Vorschmack
Das letzte Mal waren wir vor drei Tagen auf Schienen unterwegs - von U-Bahnen und Trams mal abgesehen. Die zählen aber nicht, soweit solltet ihr uns bereits kennen. Also ist es angebracht, uns an diesem Tag wieder voll der Eisenbahn, oder finnisch, der Rautatie zu widmen. Wir sind verabredet, und zwar mit Wilhelm Schevelew, dem Head of Business Line von VR Passenger Fleet Projects. VR heisst die finnische Staatsbahn und steht für Valtion Rautatiet. Also steigen wir in ein Tram und Fahren gegen Mittag in Richtung des Unterhaltswerks von VR FleetCare. Da bekommen wir eine volle Ladung an Eisenbahn ab und Wilhelm beantwortet alle unsere Fragen direkt vor Ort. Zu diesem Einblick schreiben wir zu einem späteren Zeitpunkt einen separaten Bericht.
Nach diesem spannenden Einblick könnten wir nun zurück in die Stadt fahren, ein bisschen am Meer sitzen und Kaffee trinken. Stattdessen satteln wir die e-Trottis und rasen zum nächsten, ja genau, Bahnhof. Dort steigen wir in den Zug in Richtung Hyvinkää, wo sich das nationale Eisenbahnmuseum befindet. Ein sehr stilvolles Museum in perfekter Atmosphäre, das allerdings fast ausschliesslich auf historische Themen fokussiert. Nach dem Besuch sind wir uns einig, dass wir nun endlich die nötige Dosis an Eisenbahn für heute abbekommen haben und können nun entspannt das Abendprogramm in den Fokus nehmen.
Hyvinkää ist (abgesehen vom Eisenbahnmuseum) eigentlich keinen Besuch wert. Trotzdem ist es interessant, eine Gemeinde im Umland der Grosstadt zu sehen und die gefühlt langsamere Geschwindigkeit des Lebens dort zu erfahren. Der kleine Ausflug gibt uns neue Energie, uns wieder in die Grosstadt zu stürzen.
Es wartet noch ein spezielles Erlebnis auf uns. Wir haben in einem speziellen Restaurant reserviert. Das «Kirsikka» liegt in der wunderschönen alten Markthalle »Hakaniemen Kauppahalli» im zentralen Stadtteil Kallio. Tagsüber ist hier viel los und zahlreiche Geschäfte verkaufen Produkte, die rund um Helsinki hergestellt oder angebaut werden. Auch das Kirsikka bezieht das meiste direkt aus der Markthalle. Eine kleine, aber ausgesuchte Karte mit frischen Speisen trägt diese Handschrift. Wir bestellen ein Gericht mit dem Namen «Vorschmack». Es handelt sich dabei um eine art Mus aus Rind- und Lammfleisch, dazu gibts feinen Kartoffelstock, Randen und Gurkenstücke sowie «Smetana», eine Art Crème Fraîche, einfach etwas deftiger.
Die Atmosphäre im «Kirsikka» ist familiär und persönlich. Der Besitzer Ville Leander erklärt uns die Geschichte der Markthalle. Wir erzählen, dass wir am nächsten Tag nordwärts weiterziehen und unsere Reise nach Norwegen und Schweden weitergeht. Ville sagt, er würde sich uns gleich anschliessen, wenn er nicht ein Restaurant zu führen hätte.
Kirsikka – der perfekte Ort für unseren letzten Abend in Helsinki.
P. S.: Wir sind schon am Morgen durch die Hakaniemen Kauppahalli (die Markthalle) geschlichen und haben neugierig über die Tresen geschaut. Der freundliche Mann hinter der Fischtheke fragte uns, woher wir kommen. Als Johnny stolz mit «Basel» antwortet, flippt er richtig aus (etwa so wie wir, als wir in die heiligen Eisenbahnhallen der VR treten durften).
Er liebe Basel über alles, es sei eine so schöne Stadt, mit vielen freundlichen Menschen, schöner Architektur und Kultur. Ehrensache, dass er mit uns auf ein Selfie kommt. Danke Markus für die schöne Begegnung.
21. Mai – Der Nachtzug nach Kolari
Wir verabschieden uns von Helsinki, heute Abend geht es weiter Richtung Norden. Nach so vielen Eindrücken haben wir jetzt ein ganz anderes Bild über diese Stadt, wir durften viele tolle Menschen treffen, der Abschied fällt etwas schwer. Wir haben noch viel vor uns, weshalb wir mit grosser Vorfreude den Nachtzug nach Kolari einfahren sehen. Kolari liegt weit oben im Norden, über dem Polarkreis, dort, wo die Gleise enden. Während wir schlafen, bringt uns dieser lange Zug dorthin.
Wir besteigen den Nachtzug mit den doppelstöckigen Schlafwagen in Helsinki, beziehen unser Abteil und setzen uns ins Restaurant. Der Zug setzt sich auf die Minute pünktlich in Bewegung. Nach drei Tagen in der Grossstadt fühlt es sich gut an, wieder unterwegs zu sein.
Der Zug wirkt sehr durchdacht, wie ein Hotel auf Schienen. Im Gegensatz zu anderen Nachtzügen gibt es viel Stauraum und weitere Besonderheiten wie kleine Kabäuschen zum Telefonieren und grosszügige Veloabstellplätze. Am meisten erstaunen uns jedoch die Schliessfächer auf dem Gang, bzw. sogar eine Gepäckabgabestelle im Zug.
Wir setzen uns ins Restaurant - der Broschüre zufolge den besten Wagen des Zuges - und bestellen einen Salat und zwei Mal eine grosse Portion Fleischbällchen mit Kartoffelstock. Die Portionen sind gross, das Essen ist herzhaft und wird in Porzellantellern direkt am Platz serviert. Just als wir Helsinki verlassen, ziehen Wolken auf und draussen regnet es. Nach etwa 10 Minuten Fahrt bleibt der Zug plötzlich auf offener Strecke stehen. Nach kurzer Pause ruckelt es, die Wagen mit den Autos werden angekoppelt. Die Autowagen werden an einem anderen Ort etwas weiter weg vom Hauptbahnhof beladen und dann an den Zug angehängt. Damit ist der Zug komplett und die Reise gegen Norden kann beginnen.
Nach dem Essen setzen wir uns in die Kojen und diskutieren nochmals die Aussage von Wilhelm, dass Nachtzüge in Finnland eine wichtige Bedeutung für die Vernetzung des Landes haben. Das Produkt «Nachtzug» in Finnland scheint durchdacht und selbstbewusst. Alles scheint eingespielt und irgendwie normal. Wir schlafen schnell ein und werden morgen in Lappland wieder aufwachen, weit weg von Helsinki und dem Trubel der Stadt. Was für ein Gefühl.
P. S.: Da wir in Kolari eine Sauna in unserer Hütte haben werden, müssen Saunamützen her. In Helsinki haben wir beobachtet, dass einige Saunagänger*innen eine solche trugen. Wir ziehen von Shoppingmall zu Shoppingmall, aber nirgends sind die Dinger zu finden. Alle wissen, was wir meinen, doch kein Laden scheint diese im Angebot zu haben. Eine kurze Recherche zeigt uns, dass diverse Läden solche Mützen haben, diese liegen jedoch etwas ausserhalb. Also nehmen wir die Metro und fahren in einen Vorort.
Als wir ankommen, staunen wir nicht schlecht: Die U-Bahn hält auch hier - ihr könnt es erraten - direkt in einer Shoppingmall. Nur ist diese noch grösser als diejenigen in der Stadt und wir sind aufgrund der schieren Grösse des Shoppingcenters überrumpelt, ja vielleicht etwas irritiert: Klar, wenn man in den riesigen Malls in der Stadt das Gesuchte nicht findet, muss man halt in die Mega-Malls der Vorstädte. So funktioniert das hier.
22.-25. Mai – In Äkäslompolo steppt der Elch
Wir erwachen und schauen zum Fenster hinaus. Nach all den frühlingshaft grünen Landschaften der vergangenen Tage blicken wir auf Landschaften mit weiten Wäldern, Seen und Flüssen, in denen der Frühling noch nicht ganz angekommen zu sein scheint. In den Wäldern liegen Schneereste und an den Birken hängen noch keine Blätter. Während wir den Polarkreis passieren, sind wir unterwegs zum schönsten Wagen des Zuges (Speisewagen) und geniessen das Morgenessen, das so karg wie die arktische Landschaft um uns herum ausfällt. Jeder von uns kriegt einen Kaffee und eine Schüssel warmen Haferbrei mit Blaubeeren drauf serviert. Die Kombination stillt den Hunger jedoch sehr effektiv.
Der Nachtzug erreicht Kolari fünf Minuten zu früh. Ehrlich gesagt haben wir, nach all den positiven Erlebnissen mit der finnischen Bahn, auch nichts anderes erwartet. Wir steigen aus dem Zug und werden von der Kälte hier fast erschlagen. Es ist windig, verglichen mit Helsinki eiskalt und zu dieser Jahreszeit scheint die Umgebung rund um den Bahnhof karg. Bahnhof ist wohl nicht ganz der richtige Ausdruck, es handelt sich eher um ein Holzlogistikzentrum mit einem Bahnsteig an einem der Gleise. Hinter dem Bahnhof lagert nämlich tonnenweise Holz, das darauf wartet, auf die Eisenbahn verladen zu werden. Das Ende dieser überdimensionalen Holzbeige ist nicht ersichtlich. Eine eindrückliche Ankunft. Zudem wurde in der Nacht unsere Elektrolokomotive durch zwei grosse Dieselloks ausgetauscht. Auf dieser Strecke hier im Norden gibt es keine Fahrleitung mehr, weshalb der elend lange Nachtzug ab Kemi mit zwei so speziellen Dieselloks gezogen wird. Das gibt es, zumindest in der nördlichen Hälfte von Europa, wohl nur hier.
Wir gehen zum Bahnhofsgebäude und ziehen uns erstmal um: Mützen und Jacken müssen angezogen werden, sonst schaffen wir die paar hundert Meter zum Autoverleih ohne erste Symptome einer Erfrierung nicht. Genau, ihr hab richtig gelesen: Auto. Da wir nun die nächsten Tage in einer Hütte im Wald verbringen werden, sind wir auf dieses Verkehrsmittel angewiesen. Wie zwei Polarforscher treten wir aus der Forschungsstation (der Bahnhof ähnelt tatsächlich einer solchen) und suchen die Autovermietung. Gekonnt lenkt uns Johnny in ein kleines Waldstück neben dem Bahnhof und schaut prüfend auf sein Handy: “Hier müsste eigentlich unsere Autovermietung sein”. Wir sind uns schnell einig, dass wir hier zwischen den eng wachsenden Birken und Kiefern wohl kein Auto bekommen. Wir suchen weiter und finden auch bei der nahegelegenen Tankstelle nichts.
Zurück am Bahnhof rufen wir den Autoverleih an, jedoch ohne Erfolg. Beim ersten Versuch nimmt niemand ab, beim zweiten Versuch spricht eine nette Frau am Telefon mit uns. Unglücklicherweise ausschliesslich auf Finnisch, was uns auch nicht weiterhilft. Nach 15 weiteren Minuten treffen wir dann vor dem Bahnhof einen etwas verzweifelt wartenden Mann in einem kleinen KIA Rio. Verwirrt schauen wir ihn an und sofort steigt er aus. Mit einigen Brocken finnisch (unsererseits lediglich Kiitos - Danke), sanfter Zeichensprache und einem netten Lächeln bekommen wir dann unseren Wagen. Der arme Mann wartete wohl fast 45 Minuten auf uns.
Kurz darauf sind wir auf kurvigen und staubigen Strassen unterwegs nach Norden. Immer wieder sehen wir Rentiere, die nahe am Strassenrand das erste grüne Gras des Jahres finden. Wir halten kurz an um einzukaufen und erreichen nach einer Dreiviertelstunde ein Dorf mit dem klingenden Namen Äkäslompolo.
Wir möchten etwas essen und Johnny versprach François auf der staubigen Piste, dass hier in Äkäslompolo der Bär steppt. Doch auch im winzigen Shoppingcenter des 500-Seelen-Dorfes (klar, auch das gibt es hier, wir sind schliesslich in Finnland) ist ausser dem bekannten finnischen Detailhändler kein einziger Laden offen. Dafür steht vor dem Center ein riesiger Elch aus Holz, der für Touristen wie wir, hier aufgestellt wurde. Ein steppender Bär hat François noch nicht zu sehen gekriegt. Aber wer weiss, vielleicht steppt zumindest der Elch dann und wann mal, denkt er sich.
Um präzise zu bleiben, haben ganze drei Läden offen. Darunter ist auch ein Ski- und Snowboardladen, aus dem uns ein junger Verkäufer erstaunt entgegenblickt und uns winkt. Wir würden wirklich gerne Skifahren, die Bedingung Skigebiet offen müsste aber erfüllt sein. Mit einem netten Lächeln im Gesicht winken wir zurück.
Nach einem Besuch eines wunderschönen Sees, zur Vorspeise sozusagen, finden wir dann unten an der Hauptstrasse doch noch ein Restaurant, das geöffnet hat und wir etwas zu essen kriegen. Während wir essen, verziehen sich die Wolken und dahinter kommt blauer Himmel zum Vorschein. Der Wechsel vom quirligen Helsinki nach Lappland über Nacht verlief sehr schnell. Langsam realisieren wir, wo wir eigentlich gelandet sind. In einer wunderschönen Landschaft mit lichten hügeligen Wäldern, dazwischen wechseln sich Moore mit wunderschönen Seen ab. Langsam kommen wir hier oben, im wilden Norden, an.
Nach einigen erholsamen Tagen im Wald steigen wir wieder in unser Auto und fahren zurück nach Kolari zum Bahnhof. Aber nicht auf direktem Wege. Auf der Karte haben wir nämlich entdeckt, dass die Gleise vom Bahnhof Kolari eigentlich noch weiter in Richtung Norden ziehen und fragen uns, wo die wohl hinführen. Ehrensache, dass da nachgeforscht werden muss. Voller Neugier fahren wir mit dem Auto zum nördlichsten Endpunkt der Strecke. Von der geteerten Strasse biegen wir schon bald auf eine überdimensional breite Schotterpiste ab. An deren Ende angelangt, treffen wir auf ein rostiges Tor. Wir sehen Kameras, Lautsprecheranlagen und Strassenleuchten. Aber alles scheint verlassen und ausser Betrieb zu stehen. Wir stellen den KIA Rio vor das Tor und betreten das Gelände. Bald treffen wir auf die Gleise, die bei einem morschen Prellbock enden. So sieht also das Ende der Strecke aus. Wir entdecken eine Verladerampe, dahinter steht ein grosses Fabrikgebäude mit Förderanlagen. In der Mitte steht ein hoher Turm aus Beton.
Nach einer kurzen Feldrecherche finden wir heraus, dass es sich hier um die ausser Betrieb genommene Eisenerzmine von Rautuvaara handelt. Das Eisenerz, welches hier gefördert wurde, hat Kolari und der ganzen Region grossen wirtschaftlichen Aufschwung gebracht. Das Erz wurde über Jahre von hier ins finnische Stahlwerk von Raahe transportiert, um dort Stahl herzustellen.
Die Mine stand bis 1989 in Betrieb und wurde dann geschlossen. Das passt irgendwie zu unserem Eindruck, denn vieles in Kolari scheint so, als wäre mal mehr Aktivität vorhanden gewesen, als hätte hier mal eine Blütezeit stattgefunden. Heute ist die Mine ein richtiger Lost Place, der gemäss unserer Recherche sogar als Filmlocation gebucht werden kann. Das passt richtig gut. Und wir fühlen uns gleich wie zwei Kommissare aus einem finnischen Thriller, die hinten in der alten verlassenen Mine einem Hinweis nachgehen. Natürlich ohne weitere Verstärkung und ohne jemandem mitzuteilen, dass wir da raus fahren.
Es bestehen tatsächlich Pläne, die Bergbauaktivitäten wieder aufzunehmen. In den Abraumhalden der Mine befinden sich weiterhin Stoffe wie Kupfer, Arsen, Nickel und Zink. Die Förderung dieser Rohstoffe kann künftig wirtschaftlich wieder interessant werden. Und wer weiss, vielleicht rollen hier über dieses Gelände bald wieder Bagger und vielleicht auch Erzzüge. Noch eine weitere Idee der Gemeinde Kolari hat unsere Aufmerksamkeit geweckt: Die Gleise könnten bis nach Äkäslompolo gezogen werden, dem Skiort mit dem Holzelch und es würde so auch mit dem Zug erreichbar gemacht werden können. Und dann, da ist nun auch François fest überzeugt, wird dort nicht nur der Elch, sondern auch der Bär steppen.
Dass der nördlichste Punkt Finnlands, wo noch Gleise liegen, so viele spannende Geschichten und Antworten birgt, hätten wir nicht erwartet. Und mit noch mehr Wissen über das Gebiet und vielen schönen Eindrücken aus Äkäslompolo und Kolari fahren wir zum Bahnhof. Für uns geht es heute Abend weiter.
25. Mai – Zu Fuss nach Schweden
Bevor wir uns wieder in den Nachtzug nach Tornio setzen, schauen wir am Bahnhof von Kolari noch einigen Rangiermanövern zu. Nach ganzen zwei Tagen ohne Züge tut das unseren Seelen richtig gut. Bei unserem Zug Richtung Helsinki werden nämlich wieder die Autos einiger Mitreisenden auf die verrückten Autotransportwagen geladen. Ein tolles Angebot, das offenbar rege genutzt wird. Die Autos werden übrigens vom Eisenbahnpersonal verladen. Am Endbahnhof fahren die Mitarbeitenden die Fahrzeuge dann wieder vom Zug. Das werden wir nicht mehr mitbekommen, denn so weit nach Süden fahren wir heute mit dem (Nacht-) Zug nicht.
Während wir auf einer Bank noch einen Apéro geniessen, füllt sich der Bahnhof langsam mit Menschen. Es gibt getrocknetes und geräuchertes Rentier aus Äkäslompolo (dort wo der Elch steppt), ein Stück finnischer Käse und Knäckebrot. Das Wetter hat umgeschlagen, es ist richtig warm geworden und die Polarstation glänzt in der Abendsonne.
Wir besteigen den Zug, der auf die Minute pünktlich abfährt und machen uns gleich auf den Weg zum besten Wagen des Zuges, um etwas zu essen. Ein kleines Detail am Rande: Bei Wagenübergängen riecht es normalerweise nach Schmierfett und Eisenbahn, im Übergang zum Speisewagen hingegen nach Fleischbällchen und Kartoffelstock. Heute entscheiden wir uns aber für die Lachssuppe, die uns sehr gut schmeckt. In der untergehenden Sonne schlängelt sich der Zug durch die Wälder, bis plötzlich ein Raunen durch das Restaurant geht. In Fahrtrichtung rechts erscheint plötzlich der riesige und eindrückliche Fluss Torneälven, wo das Wasser wild um die Felsen tanzt. Am Tisch neben uns wird dies mit einem lauten «Oioioioioi» kommentiert. Wie schön ist doch das Reisen im Speisewagen. Alles, was eine perfekte Zugfahrt ausmacht, kommt hier zusammen.
Langsam nähern wir uns Tornio, das nicht weit von unserem heutigen Tagesziel Haparanda liegt. Mit dem Zug geht es für heute leider nicht mehr weiter. Weshalb das so ist, möchten wir kurz erläutern, beziehungsweise euch eine Geschichte erzählen:
Die Geschichte beginnt mit dem eben erwähnten Fluss Torneälven. Dieser fliesst zwischen dem finnischen Tornio und dem schwedischen Haparanda dem Bottnischen Meer entgegen. Er stellt über stolze 170 Kilometer auch gleich die Landesgrenze der beiden Länder dar, zahlreiche Brücken verbinden Schweden mit Finnland. So auch hier, zwischen Haparanda und Tornio. Sogar eine Eisenbahnbrücke gibt es. Seit vielen Jahren verkehren über das hübsche blaue Stahlbauwerk jedoch keine Personenzüge mehr und die Eisenbahnnetze waren lange getrennt. Das hat sich seit dem Frühjahr 2025 glücklicherweise geändert. Finnland und Schweden haben mit grossem finanziellem Aufwand die Eisenbahnlinie zwischen den beiden Ländern ausgebaut, elektrifiziert und die historische Brücke umfassend saniert. Die Strecke ist also seit diesem Jahr aus dem Dornröschenschlaf erwacht und die beiden Länder sind nun wieder über das Schienennetz verbunden. Eine schöne Geschichte, die hier so nett endet. Beziehungsweise enden könnte, denn sie tut es nicht.
Mit dem Abschluss der letzten Etappe kommunizierte das länderübergreifende Projekt Anfang 2025 stolz, dass die Arbeiten nun abgeschlossen seien und die Strecke feierlich für den Zugverkehr freigegeben werden kann. Noch mehr freuten wir uns: Wir wollten zu den ersten gehören, welche diese Brücke wieder per Bahn überqueren können. Der letzte Satz in der Kommunikation des Projekts machte uns dann aber einen Strich durch die Rechnung: Es gehe nun in einem nächsten Schritt darum, einen möglichen Betreiber von Zugverbindungen zu eruieren, welcher ein passendes Angebot auf dieser neuen Strecke fahren kann. Eine Eisenbahnlinie macht schliesslich nur dann Sinn, wenn auch Züge darauf fahren. Schade, dass nicht während der langen Bauzeit ein Betreiber ausfindig gemacht wurde, der, sobald die Strecke offen ist, Züge darauf fahren lässt.
Mit gemischten Gefühlen überqueren wir also den Fluss zu Fuss, während die Sonne untergeht. In der Ferne blicken wir auf die blaue Brücke: Wir geben nicht auf und irgendwann werden wir es schaffen, das lieblich fliessende Nass aus einem Zugfenster zu betrachten. Auf einem zukünftigen Schwedenreisli, versteht sich.
Mit dem Überqueren des Flusses gewinnen wir aber auch etwas, denn genau an der Grenze zwischen Finnland und Schweden dürfen wir unsere Uhren wieder eine Stunde zurückdrehen: In Schweden herrscht wieder die mitteleuropäische Zeit. Wir sind in Haparanda angekommen.
P. S.: Auf den Moment, den Torneälven zu Fuss zu überqueren, haben wir uns natürlich akribisch vorbereitet und einen strategisch geschickten Plan ausgeheckt: Wir werden die Busverbindungen nach Haparanda rüber stur ignorieren und stattdessen die 4.6 Kilometer zu Fuss in Angriff nehmen. Wenn kein Zug fährt, dann spazieren wir eben nach Haparanda. Nicht mit uns - in einen Bus setzen wir uns nicht.
Dass ein bisschen Trotz im Gepäck mitschwingt, ist schwer abzustreiten. Und: Da sowieso kein Zug fährt, erwägen wir sogar kurz, ob wir aus reinem Protest gleich über die Eisenbahnbrücke gehen sollten. Wir verwerfen den Gedanken aber wieder. Vermutlich wäre das dann doch etwas zu aktivistisch. Wir sind korrekt und wollen es bleiben. Zudem möchten wir unser Anliegen über fehlende Zugverbindungen nicht auf einer Polizeistation in Tornio oder Haparanda, je nachdem wo auf der Brücke wir erwischt würden, erklären.
26. Mai – Gratiskaffee und Nothalt in Notviken
Wir haben im schönen «Haparanda Stadshotell» übernachtet, das mitten im Zentrum steht und viel Geschichte in sich trägt. Das Morgenessen nahmen wir im grossen Saal mit Stuckaturen und glitzernden Kronleuchtern ein. Solltet ihr mal in Haparanda landen (man weiss ja nie), können wir euch das Hotel nur empfehlen.
Unser Zug nach Luleå fährt erst um 14.28 Uhr. Genügend Zeit also, um Haparanda zu entdecken. Museen finden wir keine, das Stadtzentrum haben wir in 15 Minuten abgeschritten und am Flussufer des Torneälven sind wir gestern Abend schon entlangspaziert.
So zieht es uns also direkt ins Herzen einer jeden Stadt - genau, zum Bahnhof. Das wirklich eindrückliche Bauwerk wurde nämlich umfassend renoviert und für die länderübergreifende Bahnverbindung flott gemacht. Aktuell verkehren hier aber nur drei Züge am Tag in Richtung Schweden, beziehungsweise ins knapp zwei Stunden entfernte Luleå. Für die Verbindungen nach Finnland scheint alles vorbereitet. Die Gleise liegen und auch die Bildschirme für die Abfahrten nach Finnland hängen. Sie zeigen jedoch aktuell, passend zur Situation, «kein Signal». Das Bahnhofsgebäude ist stilvoll eingerichtet und wartet darauf, zahlreiche Reisende willkommen zu heissen. Wir diskutieren über mögliche interessante Zugverbindungen, die zwischen den beiden Nachbarn eingeführt werden könnten und hoffen, dass hier bald mehr Leben herrscht.
Wir bekamen noch einen weiteren Tipp eines Locals: In Haparanda befände sich die nördlichste Filiale der Welt des bekannten schwedischen Einrichtungshauses (das mit der blauen Schrift auf gelbem Grund). Das tönt angesichts des eher beschaulichen Geschehens hier in der Stadt schon fast aufregend. Also machen wir uns auf den Weg und stehen 30 Minuten später im Möbellabyrinth und folgen aufmerksam den blauen Pfeilen am Boden bis ins Restaurant. Dort holen wir unseren Gratiskaffee ab, denn wir gehören zur Familie. Ausser dem Selfie-Point beim Ausgang zeugt aber nichts davon, dass es sich um die nördlichste Filiale handelt. Und noch etwas haben wir zum ersten Mal in unserem Leben geschafft: Wir verlassen das Haus ohne auch nur ein einziges Serviettenpack, ein Schneidebrett oder eine Abwaschbürste gekauft zu haben.
Wir holen das hinterlegte Gepäck beim Hotel ab und sitzen schon bald im Zug nach Luleå. Der Zug fährt über die neu gebaute Haparandabahn, auf welcher erst seit 2021 wieder Personenzüge fahren. Entschuldigung - rasen. Denn bei der Strecke handelt es sich um eine Hochgeschwindigkeitsstrecke, auf welcher mit bis zu 250 km/h gefahren werden kann. Da aber keine Züge auf dieser Strecke verkehren, die so schnell fahren können, rasen wir trotzdem nicht. Wir verlassen den Zug in Notviken, einem Vorort von Luleå und laufen zum Hotel. Dort beziehen wir das Zimmer, leihen uns Velos vom Hotel und radeln ins Stadtzentrum.
Das Städtchen mit nordschwedischem Charme gefällt uns auf Anhieb. In der Mitte befindet sich eine grosszügige autofreie Einkaufsmeile mit gemütlichen Plätzen und zahlreichen Restaurants. Da hier in Luleå die Erzbahn endet – das in Kiruna geförderte Erz wird entweder nach Narvik oder Luleå transportiert – ist die staatliche Minenbetreiberin LKAB auch hier stark präsent. Immer mal wieder erblicken wir das Logo der LKAB und wir denken, dass ohne die Mine in Kiruna auch Luleå nicht so eine Bedeutung hätte. Im Gegensatz zu Kolari ist hier, aufgrund der andauernden Bergbauaktivitäten, eine Blütezeit zu spüren.
Und zum Schluss noch das: Neben vielen innovativen Firmen hat sich auch ein weltweit bekanntes Unternehmen hier niedergelassen. Ganz in der Nähe unseres Hotels befindet sich das riesige Rechenzentrum von Meta (ehemals Facebook). Meta hat dieses vor einigen Jahren gebaut. Es war das erste Rechenzentrum ausserhalb der USA. In den riesigen Hallen werden also Daten von Menschen aus aller Welt gehostet. Der Standort Luleå wurde übrigens auch deshalb gewählt, weil hier die kalten Aussentemperaturen die Kühlung der Serveranlagen auf natürliche Weise unterstützen. Weiter verfügt der Norden Schwedens über viel grünen Strom aus Wasser- und Windkraft. Das macht Sinn.
P.S.: Wie oben erwähnt steigen wir in Notviken, einem Vorort von Luleå aus. Dafür war aber viel Glück im Spiel. Dieser Halt steht zwar im Fahrplan, aber der Zug stoppte seit Boden an keinem weiteren im Fahrplan stehendem Halt. Verwirrt fragt François den Zugbegleiter, ob wir denn in Notviken überhaupt halten werden. Dieser antwortet mit einem erstaunten «Nein, eigentlich nicht, möchtet ihr denn da aussteigen?». François antwortet: «Doch, ja, wenn es irgendwie möglich wäre, sehr gerne. Das wäre sehr nett». Nun kommt Hektik auf: Der Kondukteur stürzt nach vorne zum Lokführer, der sogleich auf die Bremse drückt. Mit knapper Not hält der Zug harsch in Notviken an und wir steigen aus. Es scheint wichtig zu sein, sich frühzeitig mit dem Personal auszutauschen und die Reisepläne bekannt zu geben. Etwas verwirrt steigen wir aus und blicken in die hilflosen Augen des Kondukteurs - könnte durchaus sein, dass nicht so viele Menschen in Notviken aussteigen.
27. Mai – Der Norrland Intercity
Heute freuen wir uns auf eine ganz spezielle Zugfahrt. Schon fast das insgeheime Highligt unserer Reise. Ab Luleå fahren wir mit dem Intercity 96, der lediglich aus einer Lok und zwei Wagen besteht. Ein stolzer Intercity, wobei der Wortteil City höchstens auf Luleå und Narvik zutreffen könnte, die restlichen Halte könnte man mit viel Goodwill bestenfalls als Dörfer bezeichnen. Wir fahren natürlich die ganze Strecke des Zuges bis an seine Endstation Narvik, das in Norwegen liegt. Gute 472 Kilometer sowie 7 Stunden und 50 Minuten Zugfahrt liegen vor uns. Wir erklären kurz, weshalb wir diesen Zug so lieben: Er fährt durch spektakuläre, wunderschöne Landschaften. Oft hupend durchquert er Schwedisch Lappland und er hält an Orten wie Kiruna, Gällivare und Abisko. Ab dort wirds wirklich spektakulär, denn das Züglein rumpelt durchs Gebirge entlang des 70 Kilometer langen Sees Torneträsk. Ab der norwegischen Grenze folgt es einem Fjord und fährt auf kurvigen Gleisen bis runter nach Narvik. Es handelt sich um eine Zugverbindung, welche vom schwedischen Staat stark subventioniert wird, da sie eine wichtige Erschliessungsfunktion für den menschenleeren Norden wahrnimmt. Die Menschen, die mit diesem Zug reisen, sind entweder Tourist*innen welche die schöne Landschaft geniessen. Oder es sind Locals, welche grosse Distanzen zurücklegen um Verwandte und Bekannte zu besuchen oder aber geschäftlich unterwegs sind.
Der Zug setzt sich etwas verspätet in Bewegung. Das nimmt hier erfahrungsgemäss niemand so genau, da es sowieso nur einen direkten Personenzug pro Tag zwischen Luleå und Narvik gibt. Hauptsache man kommt an und es gibt hier einen Zug. Gemütlich, wie wir denken. Und Johnny sorgt dafür, dass es noch gemütlicher wird. Denn seit er den Zug betreten hat, knistern die Heizungen natürlich wieder munter und es breitet sich eine wohlige Wärme (François nennt es Hitze) im Wagen aus. Klar, er hat wieder am Temperaturregler herumgefingert und stellt somit sicher, dass zumindest ein paar tropische Vibes in Lappland einziehen. François fühlt sich hingegen wie in einer mobilen Sauna und erwägt kurz, die Saunamützen aus dem Rucksack zu kramen.
In Boden steht der Intercity erstmal fast eine halbe Stunde, weil wir auf Reisende des verspäteten Nachtzugs aus Stockholm warten müssen. Hier wartet man auf Anschlüsse, was das Reisen noch entspannter macht. Und dann füllen sich die zwei Wagen plötzlich mit Reisenden aus aller Welt. Neben uns breiten zwei Mitreisende eine Karte im Abteil aus, die so gross wie eine Rettungsdecke ist. Wir hören Holländisch, Dänisch, Englisch und ein bisschen entfernt von uns sogar auch Schweizerdeutsch. Ab Boden verlässt der Zug die Zivilisation und taucht in die wilden Weiten Lapplands ein. Schon bald bildet sich ein Schweizer-Tischli und wir sitzen gemütlich zusammen mit Kaffee und Zimtschnecken in einem Viererabteil. Wir philosophieren zusammen über die Schönheit des Zugfahrens, über Schweden, seine Kultur und über vieles mehr. Was für eine schöne Begegnung. Die beiden verlassen uns leider bereits in Kiruna und starten von hier ihr 10-wöchiges Skandinavienabenteuer. Viel Spass euch beiden und geniesst diese einzigartigen Naturschönheiten!
Als unser Intercity das Gebirge erreicht, ziehen Wolken und später etwas Nebel auf. Hier oben liegt zudem noch viel Schnee. Nach Riksgränsen passieren wir die Grenze zu Norwegen und nach ein paar weiteren Zugkilometern entlang des Rombaken-Fjord erreicht unser Intercity bereits Narvik. Die Reise war so kurzweilig, dass sie sich wie eine Fahrt mit einer S-Bahn anfühlte. Nicht wie mit einem Intercity. Noch ein Nachtrag zum kurzen Zug: Im Sommer werden dann mehr Wagen angehängt und es reisen dann deutlich mehr Reisende mit diesem Zug. Ein Vorteil, wenn man mit Lokomotiven und Wagen Zugsverkehr produziert - man kann den Zug flexibel auf die benötigte Nachfrage anpassen.
Im Verlauf des Abends verschwinden dann sämtliche Wolken und die Sonne erhellt einen stahlblauen Himmel. Da wir weit über dem Polarkreis sind, wird die Sonne die ganze Nacht scheinen. Wir schreiben diesen Bericht aus der uns bekannten Rooftopbar des Scandic Hotel Narvik. Wir blicken auf den Fjord, auf die farbigen Häuser und die Erzzüge, die in der Mitternachtssonne leuchten. Diesmal sind wir aber nicht lange hier - morgen geht es per Bus auf die Lofoten.
P. S.: Narvik ist uns mittlerweile wohl bekannt, es hat noch immer mehr oder weniger eine einzige Strasse und es weht ein harscher Wind. Auf letzteren haben wir uns diesmal vorbereitet und eine Kappe ist mit im Gepäck. So müssen wir nicht mal ins Shoppingcenter rüber. Auch unser Hotelzimmer liegt wieder so, dass François seine Rangiermanöver und Johnny sein Shoppingcenter betrachten kann. Nur macht uns dieses Mal die Mitternachtssonne einen dicken Strich durch die Rechnung. Da sie penetrant über den Hügel mit den interessanten Objekten steht, sehen wir beide - gelinde gesagt - nichts. So sitzen wir, geblendet von der Sonne, vor dem grossen Fenster im 10. Stock und können uns nur ausdenken, was sich da draussen abspielt.
28. Mai – Gestresste Fische und der Fløya
Der Tag beginnt in Narvik bei wunderbarem Sonnenschein. Statt zum Bahnhof, wie wir das gewohnt sind, begeben wir uns für die heutige Etappe zum Busbahnhof. Dieser liegt, wer hätte das gedacht, direkt neben der Shoppingmall in Narvik. Für Shopping bleibt heute aber keine Zeit, der Bus wartet bereits auf uns. Wir schnappen uns die Plätze ganz vorne im Bus und lassen das Abenteuer beginnen. Ziel: Svolvær auf den Lofoten. Rund 4 Stunden dauert die Fahrt und sie verspricht wunderbare Landschaften beim Weg durch die Inselgruppe.
Der erste Zwischenstopp gibt es beim Flughafen Harstad nach ca. 30 Minuten. Der Flughafen ist in etwa so gross wie Bern Belp und bietet vor allem Destinationen innerhalb Skandinaviens an. Bei den grossen Distanzen, über die sich die Länder im Norden erstrecken, ist das Flugzeug ein wichtiges Verkehrsmittel. Insbesondere die norwegische Regionalfluggesellschaft Widerøe ist stark präsent. Sie erschliesst auch abgelegene Orte und Städte, die schwer erreichbar und im Winter von der Aussenwelt abgeschnitten wären. Die Pilot*innen von Widerøe besitzen den Ruf, dass sie auch bei äusserst widrigen Bedingungen noch starten und landen, während die Piloten anderer Fluggesellschaften längst aufgegeben hätten. Lange haben wir nicht Zeit, die wenigen Flugzeuge zu bestaunen, unser Chauffeur will pünktlich um 11 Uhr weiterfahren, wie er nett aber bestimmt informiert hat.
Vom Flughafen ist es dann nicht mehr weit, bis wir über die Tjeldsundbrua auf die Inselgruppe der Lofoten gelangen. Während unser Busfahrer beim Beginn der Reise noch eher die norwegische Zurückhaltung zeigte, wurde er, je länger, desto mehr, zum Touristenführer. Er erklärt, was es rechts und links zu sehen gibt. Stolz berichtet er vom grossen Bauprojekt «Hålogalandsvegen» dessen Baustellen wir an vielen Stellen sehen. Im Rahmen des Projekts wird die grosse Strasse E10 neu und direkt gebaut. Sie wird in Zukunft sieben neue Tunnel und 22 Brücken nutzen und die Fahrzeit nach Harstad um 40 Minuten verkürzen. Ausserdem wird der Zugang zum Meer von der Strasse stark verbessert, was vor allem für den Güterverkehr wichtig ist. Unser Busfahrer erklärt, dass vor allem der Transport von Fisch auf den Lofoten enorm wichtig ist. Jede Minute, die bei diesem Transport gespart werden kann, sei wichtig: «Niemand ist so in Eile, wie ein toter Fisch». Der Humor hier oben scheint so trocken, wie die Stockfische an den Holzgerüsten, die man überall hier sieht. Das Bauprojekt kostet umgerechnet rund 1,4 Milliarden Euro und soll bis 2028 abgeschlossen sein. Wir fragen uns, was das mit dieser Insel macht, denn damit wird auch der Verkehr ansteigen und noch mehr Tourist*innen werden auf die schöne Inselgruppe gespült.
Der Chauffeur wird immer gesprächiger und erzählt mit grossem Stolz, dass er zu den wenigen Fahrern gehöre, die diese Strecke fahren wollen. Aufgrund der zahlreichen Kurven und Engstellen sei die Route sehr anspruchsvoll und ein konstant hohes Mass an Aufmerksamkeit sei gefragt. Wenn wir so rausschauen, können wir dem nur beipflichten. Der Fahrer zirkelt gekonnt wie ein Widerøe-Pilot um alle Ecken und Kanten. Durchs Mikrofon erklärt er nach einigen weiteren, mehr oder weniger interessanten Informationen, dass die Umgebung, in der wir uns gerade befinden, sehr beliebt bei Wanderern und Kletterern sei. Aber es sei auch ein sehr gefährliches Gebiet, mahnt er. Um 14.00 Uhr kommen wir pünktlich in Svolvær an. Das Wetter hat mittlerweile umgeschlagen, dicke Wolken und Nieselregen sind aufgezogen.
Wir suchen unser Hotel auf und können das Zimmer bereits beziehen. Obwohl wir die günstigste Kategorie gebucht haben, hat unser Zimmer einen Balkon aufs Meer und eine wunderschöne Aussicht. Und in unseren Körpern schlummert noch genügend Energie für die Besteigung des Hausbergs von Svolvær, den «Fløya». Dort oben angekommen, verstehen wir die Faszination der Lofoten: Die Inseln mit ihren Bergen, wie sie übers Meer verteilt sind, die Brücken zwischen den Inseln und die Schiffe auf dem Meer. Der Ausblick ist gewaltig.
Lange halten wir es dort oben nicht aus, denn der Regen fühlt sich je länger, desto kälter an. Vorsichtig steigen wir wieder runter und passen auf, dass wir nicht auf den nassen Felsen ausrutschen. Die mahnenden Worte des Busfahrers liegen uns noch immer in den Ohren.
Wir machen uns auf den Rückweg und als wir unten ankommen, regnet es dann so richtig und der «Fløya» ist im dichten Nebel verschwunden. Trotzdem hat es sich gelohnt, die knapp dreieinhalb Stunden zu wandern und einen Blick von oben auf die Inselgruppe zu bekommen.
29. Mai – Sauna und die Burritobude am Ende der Welt
Als wir den Vorhang am Morgen aufziehen, staunen wir erneut über die Schönheit dieses Platzes. Alles scheint wie in einem kitischigen Film und ein bisschen unwirklich. Die farbigen Häuschen, die nahe am türkis grünen Wasser stehen, die Fischerboote, dahinter das Meer und die schroffen Berge, die aus dem Wasser ragen sind einfach wunderschön anzuschauen. Johnny trifft den Nagel auf den Kopf: «Es sieht aus wie eine Themenwelt im Europapark, wie wenn alles nur inszeniert wäre». Nach dem Morgenessen geht es in die Sauna. Der Regen hat wieder eingesetzt und der Start in den Tag fühlt sich in der Wärme perfekt an. Abkühlen kann man sich hier direkt im eiskalten Meer, was will man mehr.
Nach dem Mittag besteigen wir wieder den Bus der mittlerweile vertrauten Linie 300 und nehmen die nächste Etappe in Angriff. Der Bus führt uns während drei Stunden über Reine nach Moskenes und immer weiter entlang der immer wilder und schroffer werdenden Landschaften. Das Wetter wechselt dabei immer wieder ab, mal scheint die Sonne, eine Viertelstunde später regnet es wieder stark. Die Strasse wird noch schmaler und wir sind beeindruckt, dass dieses Stück Infrastruktur für die hier lebenden Menschen die einzige Landverbindung darstellt. Ab und zu hält der Bus am Strassenrand bei einem der zahlreichen blauen Busschilder. Einige Halte liegen so abgelegen, dass wir uns zu fragen beginnen, woher die Menschen mit den grossen Rucksäcken gekommen sind. Oft ist, ausser der Strasse, nämlich gar nichts zu sehen. Den Leuten, welche den Bus an solchen Haltestellen verlassen, wünscht der Busfahrer herzlich «Good luck and take care». Angesichts der schroffen Landschaft und des harschen Wetters, sehr passend. Und wieder ist er da, der trockene Humor der freundlichen Busfahrer*innen der Linie 300. Denn das Lächeln des Busfahrers am Ende seiner Aussage haben die meisten dann nicht mehr gesehen, sie sind bereits im Gestrüpp verschwunden.
In Moskenes verlassen wir den Bus, der noch bis Å fahren wird. Nein, das ist kein Tippfehler der beiden Reporter, ihr habt richtig gelesen. Die letzte Ortschaft der schönen Inselgruppe heisst tatsächlich Å. Es ist das lange A, beziehungsweise ein Doppel-A. Man könnte also auch Aa schreiben. Das tut man aber in Norwegen seit 1917, als es eine Rechtschreibreform gab, nicht mehr. Aber genug Grammatikgeschichte für heute und zurück auf die Lofoten.
Von Moskenes wird uns die Abendfähre nach Bodø bringen. Bei der Verbindung Moskenes - Bodø handelt es sich um die längste Fährverbindung innerhalb Norwegens und um die unzuverlässigste. Nicht weil das Personal nicht motiviert wäre, sondern weil es sich um eine wettermässig sehr unbeständige Route handelt. Die Fähre legt aber erst um 20.30 Uhr ab. Bis dahin müssen wir hier, (fast) am Ende der Lofoten, warten. Hier ist definitiv nichts mehr los und das beheizte moderne Wartehäuschen mit grossen Glasfenstern kommt wie gerufen. Der Fährterminal von Moskenes verspricht aber noch mehr: Einsam und verlassen steht hier ein Burrito-Foodtruck, der sogar geöffnet hat. Wir bestellen zwei Burritos und sind erstaunt: Vom Ende der Welt dürfen wir berichten, dass die Burritos aus dem orangen Truck richtig gut schmecken. Dazu gibts tolle knusprige Fritten. Tja, wenn der Regen nicht wäre: Es liesse sich gut leben hier.
Nach einigem Warten erscheint dann die Fähre plötzlich wie aus dem Nichts. Sie öffnet ihren Schlund während sie in strömenden Regen und starkem Wind anlegt. Im Wind und Regen stehend freuen wir uns an die Wärme zu kommen und etwas Warmes im Bordrestaurant zu essen.
Bereits bei der Ausfahrt aus dem Hafen berichtet der Kapitän höchstpersönlich, dass die Überfahrt sehr ungemütlich werden wird. Sämtliche Passagiere sind angehalten sich zu setzen und den Sitzplatz nur wenn dringend nötig zu verlassen. Das Verschlingen eines Hotdogs erachten wir als eine ziemlich dringende Notwendigkeit und verlassen deswegen unsere Sitzplätze. Wir werden enttäuscht – das Bistro hat aufgrund des schweren Seegangs geschlossen. So setzen wir uns also brav hin. Schon bald spüren wir den angekündigten Sturm. Neben starkem Wind türmen sich grosse Wellen auf und das Schiff beginnt zu schaukeln. Ab und zu spüren wir, wie das Wasser gegen das Schiff prallt, dann donnert die ganze Nussschale gewaltig und alles was nicht niet- und nagelfest ist beginnt zu zittern. Die Wellen sind teilweise so hoch, dass die Gischt des Bugs gegen die Fenster prassen. Es wird andächtig still und alle versuchen einen möglichst angenehmen Platz zu finden.
Vielen Passagieren wird schlecht und die zur Verfügung stehenden «Säcklein für Seekrankheit» werden rege benutzt. Uns wird es glücklicherweise nicht schlecht und wir geniessen die Fahrt durch die stürmische See. Nach gut vier Stunden ist es dann vorüber und wir erreichen Bodø. Diese Überfahrt werden wir nicht so schnell vergessen. Und um ein Haar wäre die Fähre gar nicht erst gefahren. Es fehlten noch drei Meter pro Sekunde Windstärke mehr und die Fahrt wäre sprichwörtlich ins Wasser gefallen.
P. S.: Seit Kolari sind wir übrigens zu Dritt unterwegs. Das müssen wir kurz erklären, damit keine Missverständnisse entstehen: Seit dem kleinen Supermarkt an der staubigen Strasse von Kolari begleitet uns nämlich ein knallgrüner Mumin-Sack. Ja, wir mussten den anschaffen, um darin unsere Einkäufe zu transportieren. Unsere Rucksäcke hatten schlicht keinen Platz mehr dafür. Schleichend wurde er zum treuen Begleiter, in dem wir in ihm alles mehr oder weniger Überflüssige transportierten. In Kolari stopften wir drei Orangen und zwei Zitronen in den Sack. Seit Luleå transportiert François seine Kamera darin. Ein Pack Salznüsse und eine Wasserflasche kamen kurz vor dem Besteigen des Lappland-Intercitys hinzu. Seit Svolvær kamen noch drei Pfandflaschen dazu. Johnny nennt ihn liebevoll einen Gemischtwarenladen.
Während François das zusätzliche Gepäckstück von Beginn an zu schätzen wusste, stieg bei Johnny immer mehr Unmut über den netten grünen Sack auf. Immer wieder betonte er den Nachteil dieses Geschlepps, denn die Gefahr bestehe, dass wir den irgenwann und irgendwo dann plötzlich vergessen: «Jedes Umsteigen wird zu einem unnützen Nervenkrieg». Da hat er natürlich Recht, aber der Sack ist François irgendwie ans Herz gewachsen. Im Bus, ca. 15 Minuten vor Moskenes, spricht Johnny dann Klartext: «Das Ding ist bis Bodø leer, oder der Sack kommt ganz weg.» François hat daraufhin nochmals versucht, die Vorzüge dieses äusserst praktischen Gadgets zu erläutern - jedoch ohne Erfolg. Während Johnny am Fährterminal ein Nickerchen macht, leert François den Sack und verstaut ihn im Rucksack. Auch er ist überzeugt, dass es viel praktischer ist, wenn wir uns um nur zwei Gepäckstücke kümmern müssen. Und das Umsteigen wird ab sofort wieder viel entspannter.
30. Mai – Dieseldonner und Koffein à Discrétion
Wir stehen am Bahnhof von Bodø. Endlich folgt wieder ein Tag auf Schienen. Das Reisen mit Bus und Schiff war zwar schön, aber im Vergleich mit Zugfahren dann doch eher anstrengend und eintönig. Wir sind uns einig, das Zugfahren einfach die tollste Art und Weise ist, zu reisen. Wir werden heute die ganze Strecke der Nordlandsbanen, so wird die Eisenbahnlinie zwischen Bodø und Trondheim genannt, abrattern. Das wird ganze zehn Stunden dauern. Während das für andere Menschen abschreckend klingt, beginnen unsere Augen zu glänzen. Denn wir wissen bereits jetzt: Die Fahrt wird wie im Flug vorbei gehen.
Wir steigen in den Zug und freuen uns besonders, denn wir haben die Klasse Premium Pluss gebucht. Das heisst breite, verstellbare Sitze mit Beinlehnen, viel Beinfreiheit und obendrauf Wasser, Früchte und Kaffee inklusive. Unser Ziel mit Letzterem ist es, uns eine Koffeinvergiftung einzufangen, denn das Angebot muss ausgekostet werden. Der Zug setzt sich pünktlich in Bewegung, während sich die ersten Symptome einer Koffeinvergiftung bereits einstellen. Nach drei doppelten Espressi aus der Schweizer Kaffeemaschine wird uns flauer im Magen als gestern auf der Fähre. Zum Glück gibt es noch Tee, mit dem wir unser Verdauungssystem wieder beruhigen können. Mit heisser Schokolade geht es dann wieder munter weiter. Die Zeit für die Früchte ist gekommen und schon bald knabbern wir an einem Apfel.
Während sich diese Szenen in der Premium-Pluss-Klasse abspielen, schlängelt sich der Zug entlang der wunderschönen Küste. Immer wieder taucht der Zug in einen Tunnel und kommt dann an einem wilden Strand wieder ans Tageslicht. Etwas später verlassen wir das Meer und die Strecke beginnt anzusteigen. Es geht jetzt hoch aufs Saltfjellet. Es handelt sich dabei um eine Art Passstrecke, die der Zug überwinden muss. Die ganze Strecke bis nach Trondheim ist übrigens nicht elektrifiziert, weshalb wir von einer grossen Diesellok (Typ Di4) gezogen werden. Das Ungetüm ist nicht mehr das jüngste und es donnert laut im ersten Wagen hinter der Lok. Und da es auch ein bisschen nach Diesel riecht, verkriechen wir uns bald wieder in die angenehm nach Kaffee duftende Premium-Pluss-Klasse. Wir nähern uns der Passhöhe und damit auch dem Polarkreis, wo das Ungetüm etwas abbremst und lange hupt.
Für uns ein etwas wehmütiger Moment, denn auf diesem Schwedenreisli werden wir den Polarkreis nicht mehr sehen. Am Bahnhof mit dem hübschen Namen Dunderland müssen wir ein paar Minuten auf den Gegenzug warten. Wir steigen aus und halten mit der netten Zugbegleiterin einen Schwatz auf dem Perron ab (sie wurde auf uns aufmerksam, weil wir zielstrebig nach vorne zur mächtigen Diesellok marschierten, um das Ungetüm in Augenschein zu nehmen).
Oft verläuft die Strecke entlang der Küste. In Norwegen ist diese alles andere als lieblich. Immer wieder schneiden sich die vom Gletscher geschaffenen Fjorde tief ins Landesinnere, und wo der Zug deshalb nicht der Küste folgen kann, muss er den Weg übers Gebirge nehmen. Wir starten in Bodø auf vier Meter über Meer und der höchste Punkt der Strecke liegt im Gebiet des Saltfjellets auf 680 Meter über Meer. Somit überwinden also auf der ersten Etappe unserer Reise rund 676 Höhenmeter, was knapp mehr als die Gotthard-Nordrampe ist (Erstfeld - Göschenen: ca. 624 Meter). Es handelt sich also um eine waschechte Gebirgsstrecke. Ein weiterer Aspekt ist das Klima, denn aufgrund der hohen geografischen Breite liegt die Baumgrenze deutlich tiefer. Bereits bei 500 Metern über mehr wächst hier kein Baum mehr, während oben im Saltfjellet dann arktische Bedingungen herrschen.
Im Winter liegt massenhaft Schnee, dessen Reste noch lange bis in den Sommer hinein liegen bleiben werden – hier eine Eisenbahn zu betreiben, ist herausfordernd.
Wenn man in Norwegen eine Wanderung von einem Fjord rauf ins Gebirge (Fjell) macht, durchquert man auf 1200 Höhenmeter (wo bereits Gletscher anzutreffen sind) alle Klimazonen in sehr kurzer Abfolge. Die Berge hier sind zwar nicht hoch, haben aber alles zu bieten, was Alpinist*innen so mögen.
Gegen Ende der Zugfahrt fahren wir durch weite Landschaften mit vielen Flüssen, Seen und Wäldern und seit langem erblicken wir wieder das Grün des Frühlings. Und es wird bereits wieder dunkler. Als wir an einem langen schönen See mit viel Wald und gänzlich unverbauten Ufern entlangfahren, werden wir ein wenig andächtig und hoffen, dass diese schönen Landschaften noch lange so unberührt und wild bleiben. Wer weiss schon, was dem wunderschönen Norden mit dem immer wärmer werdenden Klima noch alles blüht.
P.S.: Heute ist bekanntlich der 30. Mai 2025. Das gilt auch hier in Norwegen.
Es ist nämlich so. Nachdem wir bestens gelaunt unsere (gepolsterten und breiten) Sitze bezogen haben, werden wir nach einigen Minuten kontrolliert. Die Kundenbegleiterin fragt uns freundlich, ob wir reserviert hätten. Natürlich haben wir das: Johnny zeigt also unsere Reservierung und die Kundenbegleiterin sagt leicht irritiert, einer der beiden Plätze sei ab Mosjøen reserviert, jedoch nicht durch uns. Sie sagt, es könne sein, dass es ein Problem mit dem Ticketsystem gäbe, sie würde dann unterwegs schauen, wie sie das lösen könnte.
Wir schauen unsere Reservierung noch einmal genauer an. Wir versichern uns, dass wir auf den richtigen Plätzen im richtigen Wagen sitzen. Alles scheint zu stimmen. Nach ca. 4 Stunden taucht dann tatsächlich eine freundliche Frau auf, deren Reservierung auf einen unserer Plätze lautet. Wir werden nervös, einige Blicke richten sich auf uns, die Frau nimmt die Situation aber völlig locker. Der mittlerweile neu zugestiegene Kundenbegleiter im Zug schaut sich dann die Reservierungen beider Parteien an. Beim Scannen unserer Reservierung erscheint auf seinem Gerät eine Fehlermeldung. Der Zugbegleiter schiebt den Grund auf die Buchungsplattform und teilt der Frau einen freien Platz zu – wir fallen erleichtert wieder in die gepolsterten Sitze. Nach einem weiteren Blick auf das Ticket fällt uns das kleine Detail auf: Die Reservierung gilt erst am 30. Juni, nicht am 30. Mai. Der Grund für die vermeintliche Doppelbuchung liegt also nicht am Buchungssystem.
Falls jemand von euch per Zufall Lust auf eine Zugreise am 30. Juni von Bodø nach Trondheim hat, hätten wir noch zwei Plätze anzubieten: Abfahrt wäre um 12:27 ab Gleis 1, Plätze 37 und 38 im Wagen 1.
31. Mai - 01. Juni – Das Shining-Hotel der Republik Jämtland
Wir erwachen in Trondheim und überfallen ein weiteres Mal ein reichhaltig gedecktes Scandic-Zmorgebuffet. Heute Abend werden wir in Åre sein, im Fjällgårdshotell, wo gemäss dem Hotelbesitzer Zwischensaison herrscht und es deshalb ein sehr reduziertes Angebot gäbe. Also schlagen wir zu. Nach dem Essen spazieren wir zur Strassenbahnhaltestelle St. Olavs gate, bei welcher es sich um die nördlichste Tramhaltestelle der Welt handelt. Von dort rattert die 1990 wieder eröffnete Gråkallbane über wackelige Gleise in die südwestlichen Vororte von Trondheim. Das Tramnetz in Trondheim war mal deutlich grösser, die Bahn ist ein Überbleibsel davon. Wir fahren bis zur Endstation Lian, die an einem schönen See liegt, und spazieren um diesen herum.
Mit dem Bahnersatzbus fahren wir am Nachmittag nach Storlien und von dort wieder (glücklicherweise) mit dem Zug weiter nach Åre, dem bekannten Skiort. Die Strecke auf der norwegischen Seite wird gerade elektrifiziert, weshalb dort aktuell keine Züge fahren. Die Zugfahrt auf der schwedischen Seite ist in der Abendsonne besonders schön, und wir sehen in der Weite die Berge des «Triangeln» vorbeiziehen. In diese Wanderregion gelangt man übrigens bequem mit dem Zug, der Abenteuer*innen von Enafors direkt in die Berge bringt. In Åre angekommen beneiden wir kurz den Lokführer: Was für schöne Stimmungen hier oben in den Bergen dürfen diese Lokführer*innen wohl täglich sehen. Und dann machen wir uns auf in Richtung Hotel.
Wer kennt ihn nicht - den Film mit Kultstatus, indem ein mehr oder weniger verrückt gewordener Typ mit seiner Familie und einem Hackebeil während der Zwischensaison in ein verlassenes Berghotel zieht? Wir meinen den Film «Shining» mit Nicolas Cage aus den 80er Jahren und genau diesen kommt uns in den Sinn, als wir von der steilen Strasse im dichten Wald unser Hotel erblicken. Der dunkle Bau taucht hinter einem wolkenverhangenen Himmel auf, ein leichter Nieselregen setzt ein. Der Anblick lässt uns leicht frösteln.
Das Hotel Fjällgården liegt etwas oberhalb des bekannten Skiresorts Åre. Einsam, umgeben von einem dichten und dunklen Nadelwald. Erschlossen ist das Hotel unter anderem über eine kleine Standseilbahn, welche in der Hauptsaison die Gäste vom Zentrum rauf ins Hotel mitten im Gehölz fährt. Die perfekte Kulisse.
Es ist aber Zwischensaison, die Standseilbahn fährt nicht und der Hotelbesitzer teilte uns mehrmals mit, dass er zu dieser Zeit nicht viele Gäste hätte und wir wahrscheinlich allein sein werden. Auch sollten wir nicht zu hohe Ansprüche an das Morgenessen und übrige Dienstleistungen wie Sauna und Hotpot haben. Aufgrund dieses Umstandes haben wir uns natürlich überlegt, ein anderes Hotel zu buchen. Aber irgendwie riecht das nach einem Abenteuer. Denn wir sehen uns bereits, wie wir durch einsame und verlassene Gänge mit roten Spannteppichen schleichen.
Es ist mucksmäuschenstill, als wir den Code an der Tür eingeben. Wir treten in eine dunkle, kalte Halle, wo ein einziger Umschlag auf dem Tresen mit unseren Schlüsseln liegt. Die Stimmung ist genau so, wie wir sie uns ausgemalt haben. Nur die roten Spannteppiche fehlen. Keine Menschenseele ist zu sehen und es ist totenstill. Wir gehen durch düstere Gänge, durch die Lobby, in der Rentier- und Elchgeweihe hängen, und kommen in einen grossen Saal mit einem Kamin. Darüber hängen zwei Bilder von einem Mann und einer Frau (der Mann gleicht ironischerweise dem Typ mit der Axt). Mit ihrem netten Lächeln schaffen es die beiden nicht, die Stimmung zu ändern.
Am nächsten Morgen finden wir heraus, dass tatsächlich noch sechs weitere Gäste hier im Hotel übernachtet haben. Das Frühstücksbuffet ist nicht mal so reduziert wie angenommen, und das Hotel erscheint in der Morgensonne gleich anders. Nach dem Morgenessen zieht es uns rauf in die Berge und wir besteigen den Lillskutan, der auf 1100 Meter über dem Meer liegt. Dort oben regnet es natürlich und wir treffen auf eine Rentierherde.
Wir blicken auf die wilde Natur vom schönen Län Jämtland. Entschuldigung, Republik Jämtland. Denn einige Menschen hier oben sehen sich nicht als Teil von Schweden und die Jämtländer*innen sind bekannt für ihre eigene Sicht auf die Dinge. So findet im Sommer jeweils das mittlerweile weit herum bekannte Festival «Storsjöyran» statt, wo auch der Präsident der Republik besonders jämtlandfreundliche Mitternachtsreden schwingt. Vieles ist natürlich auch satirisch und wir bekommen gleich Lust, das Yran und den Präsidenten mal zu besuchen. Das Festival scheint aber wirklich ein Event zu sein, bei dem immer mal wieder auch Weltstars auftreten. So durften auch schon Sting, Lady Gaga, Bryan Adams, Blondie und viele mehr den jämtländischen Präsidenten kennen lernen. Ein offenbar lustiges Völklein, diese Jämtländer*innen.
Oben im einsamen Shining-Hotel recherchieren wir dann noch ein wenig zu Åre, das vor einigen Herausforderungen zu stehen scheint. Das Dorf wirkt in der kurzen Zwischensaison auf uns etwas leer und ruhig. Aber wehe dem, der glaubt, dass das im Sommer und Winter ebenso ist. Die Menschen, mit denen wir reden, beschreiben ein Åre mit tausenden Touristen und Gästen, berichten von prall gefüllten Restaurants, Verkehrstaus und langen Wartezeiten an Skiliften. Ein Grossteil der Gäste stammt übrigens aus Schweden selber, die zwischen 80 und 90% der Besuchenden ausmachen. Die weiteren Gäste kommen vorwiegend aus dem nahe gelegenen Norwegen, nur ein kleiner Teil der Gäste stammt vom restlichen Europa oder von weiter weg. Nach einem grossen Boom in den letzten 20 Jahren hat sich das Wachstum in den letzten Jahren verlangsamt. Grund dafür ist nicht nur die stagnierende Nachfrage, denn auch die Infrastruktur konnte nicht mit dem Wachstum mithalten. Sie muss, wenn Åre noch weiter wachsen will, massiv ausgebaut werden. So beispielsweise die Kläranlagen, die zur Hochsaison völlig ausgelastet sind. Åre hat daher ein Baumoratorium verhängt - es dürfen, bis die Infrastruktur ausgebaut ist, keine weiteren touristischen Anlagen errichtet werden. Hinzu kommt der Klimawandel, der dem weltbekannten Skiort zusätzlich zu schaffen macht: Die Winter sind längst nicht mehr so schneereich wie früher und die Pisten kommen auch hier, so weit hoch im Norden, ohne künstliche Beschneiung nicht mehr aus.
Auch der Transport der Tourist*innen von und nach Åre verlangt offenbar einiges an Kapazität, was wir an den sehr langen Intercity- und Nachtzügen erkennen. Jetzt in der Zwischensaison sind sie fast leer, in der Hauptsaison wohl gerappelt voll.
Åre besitzt trotz all den Herausforderungen einen speziellen Charme. Denn es wirkt auf uns nicht überaus gross oder protzig. Vielleicht sind nicht alle Häuser schön, aber sie sind so ins Dorfbild eingegliedert, dass sie nicht stören. Sicher vergleichbar mit einigen kleineren Skiorten in der Schweiz, denken wir. Der Ski- und Sommerzirkus mit all seinen Vor- und Nachteilen beschränkt sich hier allerdings auf die Orte Åre, Duved, Storlien und Järpen, während es rundherum noch viel weite, unerschlossene und wilde Natur gibt.
P. S.: Wer jetzt Lust auf Åre und spannende Krimis bekommen hat, dem empfehlen wir die neueste Buchreihe der schwedischen Bestsellerautorin Viveca Sten, welche bereits drei Bücher über Hanna Ahlander, der Ermittlerin aus Stockholm, die nach Åre zog, geschrieben hat. Bekannt wurde Sten durch die Krimis aus dem kitschigen Schärengarten vor Stockholm, jetzt hat es ihr das jämtländische Åre angetan. Wie der Taxifahrerin ist es auch Viveca Sten ergangen, sie hat Åre als Kind mit ihren Eltern im Skiurlaub kennen und schätzen gelernt. Die Krimis sind hochspannend, und wenn man anschliessend Åre besucht, kommen einem die Orte gleich bekannt vor. Sehr treffend setzt Viveca Sten zudem Åre und seine wilde Umgebung in Szene.
02. Juni – Mittbanan, Funktionalismus und das Järnvägsmuseet
Nach dem intensiven Tag in Åre geht es für uns heute weiter nach Gävle. Beim Morgenessen im Shining-Hotel sehen wir zum ersten Mal dann auch jemanden vom Personal. Die sehr nette Frau fragt uns ironischerweise bereits in einem der ersten Sätze, ob wir den Film Shining kennen würden. Ihr käme der Film immer mal wieder in den Sinn, wenn sie in der Zwischensaison durch die einsamen Gänge schlurfe. «Ja, das tun wir», antworten wir amüsiert. Und zeigen auf das Bild mit dem Typen, der ein bisschen dem aus dem Film gleicht. Mit schrägem Blick betrachtet sie die Fotografie und meint, dass wir Recht hätten und sie künftig wohl noch mehr an Shining denken müsse. Bei aller Ironie empfehlen wir das wunderschön gelegene Hotel Fjällgården mit seiner stimmigen schwedischen Bergatmosphäre sehr. Stilvoll eingerichtet thront es stolz über Åre und dem Åresjön, dem hübschen See von Åre.
Die Aussicht können wir aber nicht mehr lange geniessen, denn um 10.48 Uhr verlässt unser Intercity der SJ (Schwedische Staatsbahn) den Bahnhof Åre. Wir fahren auf der «Mittbanan» in Richtung Gävle. Die Strecke führt, ihr könnt es erraten, wieder mal entlang von schönen Seen und weiten Wäldern. Weil es so schön ist und man sich kaum satt sehen kann, können wir uns eben nicht satt schreiben.
Und ebenso ergeht es dem netten Bistromitarbeiter, der uns Kaffee ausschenkt. Er sei zwar in Stockholm stationiert. Wenn er auf der Mittbana eingeteilt wird, sei das aber immer ein «lucky one». Es tut richtig gut zu wissen, dass noch mehr Menschen von dieser schönen Natur angetan sind und diese zu schätzen wissen. Und es ist nicht das erste Mal, dass wir Bistromitarbeitenden begegnen, welche richtig Freude an ihrem Job zu haben scheinen und sich um eine gute Stimmung in der rollenden Kneipe bemühen. Ständig hupend verlässt der Zug nun das gebirgige Gebiet, zieht Richtung Süden.
Gävle ist eine mittelgrosse, hübsche Stadt, wie es in Schweden so einige davon gibt. Wir haben schon zahlreiche schwedische Kleinstädte besucht und finden immer mehr, dass diese einem bestimmten Muster folgen, städtebaulich aber auch architektonisch. Wir versuchen das kurz zu beschreiben: Der Bahnhof steht typischerweise im Zentrum. Davor beginnt, nach einem Busbahnhof, eine verkehrsbefreite Einkaufsmeile (mit den Läden, die es gefühlt in jeder schwedischen Stadt gibt). Eine mittelgrosse Shoppingmall (wirklich nur eine - im Gegensatz zu Helsinki) und das Filmstaden (Kino) findet man am zentralen Platz, wo auch typischerweise das Stadshuset mit öffentlicher Bibliothek steht. Weiter findet man dort auch ein Hotel und mitten auf dem Platz entweder eine Würstchenbude oder ein Restaurant. Folgt man der Strasse weiter, kommt man zum Stadtpark mit einer Kirche. Dort verlässt man auch die typischen, einander gleichenden Betonbauten (die nicht alle als architektonische Sehenswürdigkeiten beschrieben werden können). Der Park grenzt üblicherweise an ein Flüsschen, das durch die Stadt fliesst. Wenn es kein Fluss hat, liegt dort ein See. Am Fluss oder am See stehen oft die ältesten Häuser der Stadt, ähnlich einer Altstadt. Ganz in der Nähe findet man dann einen grossen Parkplatz, bei dem die Leute, die nicht wie wir mit dem Zug gekommen sind, parkieren.
Uns beschäftigt das mittlerweile so stark, dass wir zu recherchieren beginnen und tatsächlich werden wir fündig. In der Nachkriegszeit wurden viele Städte nach dem gleichen Muster erneuert. Ein wichtiger Aspekt im Rahmen der sogenannten Citysanering (Stadtsanierung) war die soziale Gleichheit, die bis heute ein wichtiges schwedisches Ideal darstellt. Städte sollten für alle zugänglich sowie funktional statt protzig werden. Verkehrstechnisch wurden die Städte so gestaltet, dass sie autofreundlich sprich im Schachbrettmuster und mit breiten Strassen angelegt sind. Dazu wurden ganze Quartiere abgerissen und durch funktionale, moderne Betonbauten ersetzt - oft mit einem Einkaufszentrum, Parkplatz und Busbahnhof im Stadtzentrum. Von diesen Abrissen sind übrigens viele eindrückliche Bilder online zu finden. Oft wurden die damals verpönten Altstädte nicht entfernt, sondern am Rand der neuen Bauten belassen. Die Verkehrsberuhigung und -befreiung fand erst später statt, typischerweise aber betraf es die Hauptgassen, die jeweils in den zentralen Platz münden.
Ende der Vorlesung, zurück nach Gävle.
Nach einem Spaziergang durch die Stadt trinken wir noch einen Kaffee (am zentralen Platz in der bekannten schwedischen Kaffeehauskette) bevor wir uns dem eigentlichen Grund dieses Zwischenstopps widmen. Dreimal darf bekanntlich geraten werden:
Wir besuchen das kürzlich neu eröffnete Eisenbahnmuseum. Das Museum war seit 2017 geschlossen und wurde renoviert. Im letzten Sommer wurde es dann neu eröffnet. Und die Renovierung kann sich sehen lassen. Ein interaktives Museum, das die Geschichte und unterschiedliche Aspekte der Eisenbahngeschichte in Schweden beleuchtet. Die ausgestellten Lokomotiven und Wagen sind sorgfältig ausgewählt und restauriert. So gibt es die ersten Schlafwagen und Restaurantwagen zu besichtigen, aber auch einen Steuerwagen des Hochgeschwindigkeitszugs X2000.
Für das flächenmässig riesige Land Schweden hatte die Eisenbahn von Anfang an die Aufgabe, das Land zu verbinden. Einerseits, damit die Menschen diese grossen Strecken komfortabel zurücklegen können, vor allem aber auch, um Güter effizient zu transportieren.
Rund um die Ausstellung gibt es einen grossen Park, wo zusätzlich noch einige Zugwagen ausgestellt sind. In der Hochsaison und am Wochenende fährt zudem ein alter Schienenbus vom Bahnhof zum Museum, den die Besucher*innen nutzen können.
Und auch das Museumsbistro ist sehr zu empfehlen. Am Mittag wird ein typisch schwedisches Buffet angeboten für einen sehr fairen Preis mit frischen Speisen. Der Speisesaal ist, passend zum Thema, ein alter Speisewagen.
Gestärkt und voller Eindrücke geht es für uns zurück an den Bahnhof und weiter Richtung Süden. Die vorerst letzte Zugfahrt dieses Schwedenreislis steht an. Die nächsten Tage erholen wir uns in Südschweden fernab von Hotelbetten, Frühstücksbüffets und anderen Tourist*innen.
P.S.: Rückblick: Als wir dieses einschlägige Museum in unsere Planung aufnahmen, kommentiere Johnny dieses Vorhaben folgendermassen: «Das finde ich super, dass wir das Eisenbahnmuseum besuchen, denn dann haben wir auch mal einen Tag, an dem wir mal richtig was von Eisenbahnen sehen». François war etwas neben der Schiene, sah Johnny mit entgleistem Gesichtsausdruck an, lächelte und nickte anschliessend nachdenklich. Denn er hat Recht, es ist wirklich was ganz anderes, stehende Züge von draussen zu bestaunen als mit diesem Verkehrsmittel drei Wochen durch fünf Länder zu reisen.
Eine Ode an die Schwedenreise
Drei Wochen waren wir unterwegs, mit vielen Zügen (es waren über 20) und ja, einigen Bussen sowie auf einer wilden Fahrt auf einer Fähre. Auf dieser Reise haben wir viel Neues entdeckt, einiges mehr über Finnland, Norwegen und Schweden gelernt und uns auch ab Orten und Gegebenheiten gefreut, die wir bereits kannten. Unsere Eindrücke und Erinnerungen sind geprägt von aufgeräumten Städten, stehenden und schwimmenden Shoppingcenter, steppenden Elchen, gesprächigen Buschauffeuren der Linie 300 und etwas Koffein. Und natürlich von der unglaublich schönen und intakten Natur. Beeindruckt sind wir auch von der Tatsache, dass in Skandinavien vieles so ruhig, besonnen und selbstverständlich funktioniert, wo andernorts mehr (unnötige) Hektik und Durcheinander herrscht. Nur die toten Fische scheinen es eilig zu haben.
Und diese Selbstverständlichkeit und Gelassenheit nehmen wir nach dieser langen schönen Reise gerne mit nach Hause.
Uns bleiben aber auch die vielen Begegnungen mit Menschen an den unterschiedlichsten Orten. Seien es Freunde, die uns in Stockholm mit einem grossen Brunch empfangen haben, die neuen Bekanntschaften aus der Schweiz im Zug nach Narvik, der Besuch bei VR Fleetcare und natürlich auch mit den Menschen, welche die Züge (und Busse und Fähren) betreiben oder in Schuss halten. Dazu kommen natürlich auch noch die Mitarbeitenden von den Hotels, in welchen wir genächtigt haben.
Wir haben uns in den letzten Tagen in Südschweden von diesen vielen Erlebnissen erholt. Wir geben hiermit aber offen zu, dass zu dieser Erholungsphase auch eine Zufahrt gehörte. So haben wir noch eine kleine eintägige Kurzreise von Sävsjö nach Linköping und Kalmar unternommen und sind dabei mit den etwas speziell aussehenden Zügen des Typs Y2 (besser bekannt unter dem Namen Rubbernose) durch die Wälder Smålands gedüst. Während der restlichen Zeit haben wir uns aber erholt - versprochen.
Apropos versprochen: Ein Versprechen möchten wir gerne noch einlösen, es fehlt nämlich noch der Bericht aus dem finnischen Eisenbahnbetriebswerk in Helsinki. Diesen haben wir nun aufbereitet und präsentieren ihn nun als Highlight zum Schluss (das Highlight mag wohl für diejenigen Leser*innen zutreffen, welche Eisenbahnen auch so mögen wie wir). Hier der Bericht
Wir bedanken uns bei euch fürs Mitlesen und Mitlachen - ihr wart so schliesslich immer auch ein bisschen dabei. Wir freuen uns auf das nächste Mal, denn die Planung für das Schwedenreisli 2026 hat bereits begonnen. Man darf gespannt sein.
Damit ein herzliches Hejdå, Tschüss und auf Wiederlesen!
Aus dem verspäteten ICE 77 auf seinem Umweg zurück in die Schweiz,
Jonathan und François