Unsere Eindrücke aus dem Werk
Bei der Planung unserer Reise haben wir die VR (Valtion Rautatiet - Finnische Staatsbahn) angefragt, ob wir das Unterhaltswerk der “VR FleetCare” hier in Helsinki besuchen dürfen. Und die Antwort kam schnell und klar: Ja, wir dürfen sehr gerne mit Wilhelm Schevelew das Werk hier besuchen kommen. Die VR FleetCare ist bei Kenner*innen wohl bekannt: Sie erbringen nicht nur Unterhaltsleistungen für Eisenbahnen, sondern sind auch bekannt dafür, dass sie ältere Flotten renovieren. Also alte Wagen oder Lokomotiven wieder fit machen, und das für unterschiedliche Bahnunternehmen, teilweise auch für Bahnunternehmen ausserhalb von Finnland. Wir haben also einige Fragen und treffen Wilhelm am frühen Nachmittag vor dem Werk in Helsinki am Lokvägen, etwas nördlich des Vorortes Ilmala.
VR hält das gesamte Rollmaterial auf allen Strecken in bestmöglichem Zustand, um ein hochwertiges Reiseerlebnis und umfassende Dienstleistungen sicherzustellen.
Uns interessiert, wie der Unterhaltszweig der VR funktioniert. Und natürlich auch, was für eine Bedeutung die finnischen Nachtzüge haben. Denn diese sind für ihre Zuverlässigkeit und ihre hohe Qualität bekannt. Hier im Norden Europas Eisenbahn zu betreiben ist keine einfache Aufgabe, im Winter herrschen unwirtliche Bedingungen in Finnland. Und das Schienennetz reicht bis weit über den Polarkreis.
Natürlich stellt uns der Winter manchmal vor Herausforderungen. Die Bedingungen können sehr rau sein, an der Ausrüstung sammelt sich viel Schnee und Eis an, und die Temperaturunterschiede zwischen Süd und Nord können erheblich variieren. Wir haben ein Protokoll für die Erstellung eines Notfallplans für die Wintersaison, und jeden Winter lernen wir wieder etwas Neues dazu, das wir berücksichtigen müssen.
Ausgerüstet mit Sicherheitswesten, Brillen und Helmen betreten wir das Werk. Insgesamt 60 Kilometer Gleise liegen auf dem Areal, rund 450 Menschen arbeiten hier. Wir sehen die Unterhaltshallen für Fernverkehrszüge und für Pendolinos sowie die Lokhalle. Was uns als Erstes auffällt sind die Dimensionen: Finnische Züge fahren nicht nur auf breiterer Spur, sondern haben auch ein deutlich höheres und breiteres Profil als im restlichen Europa. Der zusätzliche Platz, der dadurch gewonnen wird, kann anderweitig genutzt werden.
Noch eine Besonderheit hat die finnische Eisenbahn zu bieten: Auf gewissen Zügen ist es möglich, sein eigenes Auto zu verladen und dieses auf die teilweise kilometerlangen (Nacht-) Zugreisen mitzunehmen. Ein solcher doppelstöckiger Wagen für Autos ist etwas, das man (zumindest in Europa), wohl nur hier findet. Sicherlich auch den grossen Distanzen geschuldet, besitzen Nachtzüge in Finnland einen hohen Stellenwert und die Nachfrage ist hoch.
Nachtzüge sind in Finnland äusserst beliebt, was den Bedarf an neuen Wagen belegt. Zudem werden bestimmte Strecken in Finnland staatlich subventioniert, um sicherzustellen, dass verschiedene geografische Gebiete in diesem Land mit grossen Distanzen zugänglich bleiben.
Es stehen hier aber auch Triebzüge, die ursprünglich von Fiat gebaut wurden, die sogenannten Pendolinos (und ja, hier fahren sie zuverlässig). Einige werden gerade gereinigt oder gänzlich aufgefrischt.
Weiter geht es in die Lokhalle, wo Loks vom Typ “Vectron” oder “Sr2” stehen. Letztere kommt euch sicher bekannt vor, und ja, es handelt sich dabei um die finnische Schwester der “Re460” oder “Lok 2000”, die auch bei der SBB im Einsatz steht. Als Übername wird sie hier in Finnland liebevoll “Käkikello” genannt, da Kuckucksuhren wie an so vielen anderen Orten auf dieser Welt mit der Schweiz verbunden werden. Andere nennen sie “Alppiruusu”, der Rhododendron. Auch einige der charakteristischen S-Bahnzüge des Typs Sm2 stehen hier.
Die Hallen von VR FleetCare hier in Helsinki sind eindrücklich und natürlich - wie so vieles hier in Finnland - sauber und aufgeräumt. Die weiteren Werke von VR FleetCare in Oulu und Pieksämäki bieten übrigens ein ähnliches Grundangebot an Dienstleistungen an, sie erfüllen jedoch einen anderen Zweck. In Pieksämäki werden vor allem Diesellokomotiven und Güterwagen unterhalten, letztere sogar auch gebaut. In Oulu befindet sich die Projektabteilung, welche sich um Erneuerungs- und Weiterentwicklungsthemen rund um Züge kümmtert. Da finnische Züge auf breiterer Spur fahren, ist dieser Standort nicht zufällig gewählt. So kann VR auch anderen Eisenbahnunternehmen Dienstleistungen anbieten.
Zurzeit sind wir bezüglich Unterhalt gut aufgestellt und haben die Herausforderung der unterschiedlichen Spurweiten dadurch gelöst, dass wir Projektaktivitäten an unserem Standort Oulu konzentrieren, der nahe der schwedischen Grenze liegt. Wir können Rollmaterial aus anderen nordischen Ländern über Tornio-Haparanda für den Unterhalt nach Finnland bringen.
Wir haben noch viele weitere Fragen Wilhelm gestellt, welche er uns ausführlich beantwortet hat. Das ganze Interview findet ihr unten.
Vielen Dank Wilhelm und VR FleetCare für diesen Einblick - wir haben auf der anschliessenden Nachtzugreise in den Norden vieles mit anderen Augen betrachtet. Die Selbstverständlichkeit, mit der hier in Finnland Eisenbahn betrieben wird, ist beeindruckend. Und dazu gehören eben auch Nachtzüge, die auch ein gutes Mass an Selbstbewusstsein ausstrahlen. Unsere Züge in Finnland waren durchwegs auf die Minute pünktlich und immer sauber.
Interview mit Wilhelm Schevelew, Leiter Geschäftsbereich Projekte Flotte Personenverkehr bei VR FleetCare
Welche Dienstleistungen bietet VR FleetCare an, und was für eine Rolle spielt das Unternehmen im finnischen Eisenbahnwesen?
VR FleetCare ist dafür zuständig, dass die Züge in Finnland in einem guten Zustand sind und zuverlässig Reisende und Güter transportieren können. Kurz gesagt: Wir machen alles von der Inbetriebnahme über die Wartung und Instandhaltung, Renovationen bis hin zur Ausflottung von Zügen, Waggons und Lokomotiven.
Wir sind grosse Fans von Nachtzügen. Welchen Stellenwert haben Nachtzüge in Finnland?
Nachtzüge sind ein wesentlicher Bestandteil des finnischen Schienennetzes. Sie verbinden den Süden mit dem Norden und tragen dazu bei, die Erreichbarkeit und Versorgungssicherheit in Finnland sicherzustellen, wo die Distanzen gross sind. Nachtzüge befördern sowohl einheimische als auch internationale Touristen nach Nordfinnland, wo wir einzigartige Naturziele, Wanderwege und Erlebnisse am Polarkreis in Nordeuropa haben. Eine weitere wichtige Dienstleistung der Nachtzüge ist der Autoverlad. Dieser ermöglicht es Reisenden, die lange Strecken in Finnland zurücklegen, ihre Autos bequem mitzunehmen, während sie sich während der Fahrt ausruhen und die Annehmlichkeiten des Zuges geniessen.
In Mitteleuropa ist das Rollmaterial für Nachtzüge knapp, und Bahnbetreiber tun sich oft schwer, Nachtzugverbindungen wieder einzuführen oder beizubehalten. Hier in Finnland scheint dies kein Problem zu sein. Wir sehen modernes, hochwertiges Rollmaterial im Einsatz. Wie gelingt das VR?
VR hält das gesamte Rollmaterial auf allen Strecken in bestmöglichem Zustand, um ein hochwertiges Reiseerlebnis und umfassende Dienstleistungen sicherzustellen. Bei Nachtzügen ist das Fahrgasterlebnis natürlich besonders wichtig, da die Reise lang ist und die Fahrt in den Norden für sich schon ein Erlebnis ist. Wir nennen die Nachtzüge in Finnland „Santa's Express“ und sind sehr stolz auf diese Verbindung. Diese ist auch aus Sicht der Instandhaltung besonders, da die Zusammenstellung verschiedener Wagen und Lokomotiven im Vergleich zu Zügen auf anderen Strecken aussergewöhnlich ist.
Welches sind Ihrer Meinung nach die grössten Herausforderungen im Bereich des Rollmaterials für Nachtzüge in den kommenden Jahren? Gibt es hier in Finnland spannende Innovationen oder Projekte?
VR beschafft neun neue Schlafwagen und acht Autotransportwagen für den Nachtzugverkehr. Die ersten neuen Wagen werden noch im Verlauf dieses Jahres eingeführt.
Die Instandhaltung von Schienenfahrzeugen ist überall eine komplexe und kostspielige Angelegenheit. Wir können uns vorstellen, dass der Unterhalt von Zügen unter arktischen Bedingungen noch anspruchsvoller ist. Was müssen Sie in Finnland anders handhaben?
Die hiesigen Bedingungen haben uns besondere Fähigkeiten und Kapazitäten sowohl beim Unterhalt von Rollmaterial als auch bei der Herstellung von Wagen für arktische Bedingungen vermittelt. Wir sind seit über 160 Jahren in diesem Land tätig, deshalb gehört der Unterhalt unter arktischen Bedingungen zu unserem Alltag. Natürlich stellt uns der Winter manchmal vor Herausforderungen. Die Bedingungen können sehr rau sein, an der Ausrüstung sammelt sich viel Schnee und Eis an, und die Temperaturunterschiede zwischen Süd und Nord können erheblich variieren. Wir haben ein Protokoll für die Erstellung eines Notfallplans für die Wintersaison, und jeden Winter lernen wir wieder etwas Neues dazu, das wir berücksichtigen müssen.
Die Spurweite in Finnland beträgt 1524 Millimeter, während der Grossteil Europas die Normalspur von 1435 Millimetern verwendet. Die EU schlägt gelegentlich eine Vereinheitlichung der Spurweiten vor. Was ist Ihre Meinung dazu? Wäre das überhaupt umsetzbar? Und welche Vorteile bietet die Breitspur für Ihren Betrieb?
Zurzeit sind wir bezüglich Unterhalt gut aufgestellt und haben die Herausforderung der unterschiedlichen Spurweiten dadurch gelöst, dass wir Projektaktivitäten an unserem Standort Oulu konzentrieren, der nahe der schwedischen Grenze liegt. Wir können Rollmaterial aus anderen nordischen Ländern über Tornio-Haparanda für den Unterhalt nach Finnland bringen. Von dort aus kann es auf verschiedene Weisen einfach zu unserem Projektzentrum zur Revision transportiert werden.
Uns ist aufgefallen, dass Tickets in Finnland relativ günstig sind, während die Servicequalität beeindruckend hoch ist. Wir nehmen an, dass der Betrieb von Zügen im hohen Norden nicht gerade günstig ist. Wie gelingt Ihnen das?
Nachtzüge sind in Finnland äusserst beliebt, was den Bedarf an neuen Wagen belegt. Zudem werden bestimmte Strecken in Finnland staatlich subventioniert, um sicherzustellen, dass verschiedene geografische Gebiete in diesem Land mit grossen Distanzen zugänglich bleiben.